Kreissynode Köln-Mitte: „Tatkraft statt Betroffenheit“

„Wer wollen wir als Kirche sein? Frage an uns alle: Wollen wir eine Kirche des Rückzugs sein? Was machen wir, Rückschritt oder Aufbruch?“ Diese zentrale Frage stellte Pfarrer Hans Mörtter zu Beginn der Synode des Kirchenkreises Köln-Mitte am Samstag, 13. November, in der Stephanuskirche der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Riehl. Zusammen mit Pfarrer Uwe Rescheleit feierte er und die Synodalen den Gottesdienst zu Beginn der Herbstsynode.

Pfarrer Hans Mörtter.

Man stehe vor unglaublich großen Chancen, fuhr Mörtter fort. „Wollen wir die Aber-Kirche sein, oder die Kirche, die alle Segel setzt, die unüberhörbar in unserer Stadt und unserer Gesellschaft ist?“ Manchmal müsse man aufbrechen. „Aber gehen wir wirklich hin? Ich habe erlebt, wenn man wirklich hingeht – dann verändert sich etwas, dann wirkt das. Dann bringt mich das auf.“ Er forderte: „Tatkraft statt Betroffenheit.“

„Gott, wir leben. Wir leben so, wie wir gelebt haben. Allein aus deiner Gnade“, fasste Pfarrer Uwe Rescheleit die Gedanken in einem Gebet zusammen. „Damit nichts uns trenne von deiner Liebe. Von deinem Geist, der uns doch heiligen möchte.“

Stimmungsvolle Klaviermusik.

Aufgrund der hohen Inzidenz fand die Synode kurzfristig als Hybrid-Veranstaltung statt. Ungefähr ein Fünftel der Abgeordneten nahm online teil und konnte nicht die schön renovierte Stephanuskirche vor Ort erleben – die Szenerie im Hintergrund kam jedoch auch über Zoom beeindruckend herüber.

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir!“

Superintendentin Susanne Beuth ging in ihrem Jahresbericht auf ein Wort aus dem neuen Testament ein: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir! Veränderungen stehen an. Veränderungen geschehen. Wir nehmen das als bedrohlich wahr, wenn Sicherheiten brüchig werden, die unserem Leben Halt geben, die uns unverzichtbar scheinen. Wenn wir uns gegen unseren Willen verändern müssen. Wir nehmen das als inspirierend wahr, wenn wir eine Vision haben.“

Superintendentin Susanne Beuth.

Als Erfahrungen bedrohlicher Veränderungen ging sie auf die Corona-Pandemie ein: „Seit fast zwei Jahren begleitet unser alltägliches Leben die Corona-Krise mit Lockdowns verschiedener Schärfe und dann zum Glück der Hoffnung durch die unglaublich schnelle Entwicklung von Impfstoffen, die ab Ende Dezember für vulnerable Gruppen, ab dem Sommer für alle zur Verfügung standen. Die Erwartung, dass Corona ein Ende haben könnte, hat sich allerdings noch nicht erfüllt.“ Insbesondere die Presbyterien seien in ungekannter Weise gefordert gewesen zu entscheiden, wann Präsenz möglich sei und wann sie sinnvoll sei, um die Aufgabe zu erfüllen, „für Menschen da zu sein, Kraftquellen zu bieten bei spirituellen Angeboten, seelsorglichen Gesprächen, und ein Stück Struktur gebende Normalität des Gemeindelebens aufrecht zu erhalten. Der durch Corona ausgelöste Digitalisierungsschub habe aber viele positive Effekte gehabt. Aus der verstärkten Aufmerksamkeit für die Präsenz in sozialen Medien sei #himmelaufkoeln und das spirituelle Angebot „Beach & Heaven“ entstanden.

Die Superintendentin sprach weiter über den Starkregen und die Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021, die Todesfälle, die Menschen, die obdachlos geworden sind und die zerstörten Häuser und Straßen. „Die Notfallseelsorge war mit vielen Menschen im Einsatz. Freiwillige machten sich auch aus unseren Gemeinden auf. Im Bahnhof Ahrdorf konnte die Gemeinde Nippes eine Anlaufstelle für Betroffene zur Verfügung stellen. Die große Spendenbereitschaft ermöglicht vielfältige Hilfe“, sagte sie. Sie verwies in diesem Zusammenhang der Umweltkatastrophen besonders auch auf die Wichtigkeit des Kampfs gegen den Klimawandel.

Ob die Veränderungen in der Kirche als bedrohlich oder inspirierend erlebt werden können, hängt von ihrer Gestaltung ab. Sie berichtete von Texten, die Visionen sichtbar machen wollen: „Lobbyistin der Gottoffenheit“ der Landessynode 2021 und das Positionspapier „E.K.I.R. 2030“, das die Kirchenleitung jüngst veröffentlicht hat. Im Hinblick auf die Zukunft der Kirche und des Kirchenkreises stellte sie fest: „Die Vision – dafür haben wir schon viele Stichworte gesammelt: Sichtbar, professionell, relevant für die Stadt wollen wir sein“, sagte sie „Evangelisch & engagiert, kooperativ & kontaktstark, innovativ & international und rheinisch & resilient‘ kam in diesem Herbst auf den Tisch. Aber das alles muss ja vor Ort, in den Gemeinden, im Kirchenkreis konkret durchbuchstabiert werden. Manchmal geht es leicht, manchmal kostet es Kraft. Und die vielfältigen, parallel laufenden Prozesse führen dann zu einem Klima der Anspannung durch die Überforderung von Haupt- und Ehrenamtlichen.“

Als Modell für gelungene Veränderung stellte sie die Stephanuskirche vor. Durch die Aufgabe des Standortes Kreuzkapelle seien die Ressourcen frei geworden, den architektonischen Schatz der Kirche mit ihrem Zeltdachcharakter als großen, Offenheit ausstrahlenden Raum zu erhalten. Dabei wurde das alte Gemeindezentrum abgerissen und alles kleiner, aber funktional, barrierefrei und energetisch auf dem Stand der Zeit neu gestaltet. So müsse auch der Umbau der Kirche im Ganzen erfolgen: Schätze erhalten, Visionen konkret machen und Ressourcen durch eine Kultur des Verabschiedens frei machen. Nicht alles muss überall angeboten werden.

Klimagerechtigkeit, Impfgerechtigkeit und Schutzkonzept

Die stellvertretende Superintendentin Miriam Haseleu.

Die stellvertretende Superintendentin Miriam Haseleu führte durch die Aussprache zu den Berichten der Gemeinden und Arbeitsfelder und moderierte die Fragen und Anmerkungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die in der Stephanuskirche oder über Zoom sprachen. „Vieles läuft gut“, stellte sie fest. „Vieles ist auch ganz anders als vorher.“ Die Arbeit mit Geflüchteten und Corona stehe im Vordergrund bei vielen Gemeinden. Sie bedankte sich für das Engagement aller Beteiligten.

Die einzelnen Gemeinden hatten von der Sommersynode mit dem Schwerpunktthema Klimagerechtigkeit die Aufgabe mitgenommen Berichte über Erreichtes und neue Schritte auf dem Weg zu Klimagerechtigkeit zu erstellen. Dabei ist die Bandbreite des Vorhandenen ebenso wie der neuen Möglichkeiten groß: Strom für die Gemeindegebäude ausschließlich „Naturstrom“, zielgerichtete Programmierung der Heizungen der Kirchen, Einsatz energiesparender Leuchtmittel, Anschaffung von Regenwassertanks zur Bewässerung der gemeindlichen Grünanlagen sowie von Dach-/Fassadenbegrünungen und Photovoltaikanlagen, besondere Zuschüsse zu nachhaltigen Jugendfreizeiten wurden genannt. Klimagerechtigkeit wird theologisch und praktisch verstärkt in Gottesdiensten und Veranstaltungen thematisiert. Zwei Synodale wurden mit der weiteren Vernetzung und Evaluation der Fortschritte beauftragt.

Foto: Inga Osberghaus

Mit großer Sorge nahm die Synode wahr, dass durch die Pandemie die globale Ungerechtigkeit in Hinblick auf Impfgerechtigkeit verstärkt wird. Es sei eine christliche und humanitäre Aufgabe, dies öffentlich zu machen und nationale Egoismen zu überwinden. Die Pandemie könne nur global bekämpft, begrenzt und überwunden werden. Die Synode erinnerte daran, dass Impfstoff ein globales öffentliches Gut ist und allen Menschen zugänglich sein muss.

Pfarrer Christoph Rollbühler brachte das Thema Schutzkonzept in die Synode ein. „Vertrauen ist der Grundpfeiler für das Zusammenleben und -arbeiten von Menschen und wird dennoch missbraucht“, sagte er. „Körperliche oder seelische Grenzen von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen werden leider immer wieder überschritten – in allen Lebensbereichen und damit auch in der Evangelischen Kirche. Wie wir mit einem so emotionalen und schwierigen Thema wie der Aufarbeitung unserer eigenen Geschichte umgehen, ist entscheidend für unsere Zukunft. Wegsehen und Schweigen helfen in keinem Fall.“ Seit Mitte 2020 befasse sich ein Arbeitskreis an der Christuskirche mit der Aufarbeitung in der Vergangenheit und schaue auch auf Strukturen. „Wir möchten hören, reden und ins Gespräch kommen – für offene, sensible Kommunikation auf allen Ebenen, weil weniger nicht genügt“, sagt er weiter. Er brachte den Antrag ein, dass die Synode den Kreissynodalvorstand beauftragt, ein tragfähiges und anschließend verbindliches Konzept zur Aufarbeitung mutmaßlicher Fälle von sexualisierter Gewalt in den Gemeinden zu erarbeiten und vorzulegen. Die Synodalen stimmten diesem Antrag zu.

Kirchmeister Joachim Morawietz.

Kirchmeister Joachim Morawietz als Finanzkirchmeister des Kirchenkreises gab der Synode den Jahresabschluss 2020 des Kirchenkreises mit einem positiven Jahresergebnis in Höhe von 74.811,24 € zur Kenntnis. Er stellte fest, dass trotz aller Befürchtungen die Steuereinnahmen 2020 im Rahmen der Planung lagen. Der Doppelhaushalt 2022/2023, dem die Synode zustimmte, musste hingegen Steuerrückgänge und einmalige Ausgaben berücksichtigen, so dass für 2022 eine Rücklagenentnahme eingeplant werden musste.

Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe Preisträger 2021

Neben weiteren Punkten bestimmte die Kreissynode des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Mitte auch den neuen Preisträger 2021 der Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe. Diese geht an die Pfarrerin Mathilde Sabbagh der Gemeinde Hassakeh in Syrien. In  einem Gebiet, das durch Emigration der angestammten Bevölkerung nach Europa und Amerika ebenso bestimmt ist wie durch die Ankunft von Flüchtlingen aus benachbarten Landstrichen, bietet sie mit ihrer Gemeinde seit 2016 allen Kindern und Jugendlichen, egal ob evangelisch, orthodox oder katholisch Gesprächsangebote, Englisch, Französisch- und Computerunterricht, Bibelstunden und Freizeitmöglichkeiten. Mittlerweile kommen regelmäßig 300 Kinder und Jugendliche in die Kirche. Daneben organisiert und verteilt die Pfarrerin mit ihrer Gemeinde Lebensmittel, Medikamente, Hygienepakete und Benzin zum Heizen für den nahenden Winter an bedürftige Familien. Seit 1981 verleiht der evangelische Kirchenkreis Köln-Mitte die Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe.

Verleihung der Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe an Dr. Alganesh Fessaha

Dr. Alganesh Fessaha.

Am Nachmittag nahmen sich die Synodalen Zeit in einer Feierstunde eine besondere Person auszuzeichnen, die bereits im Jahr 2019 für die Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe bestimmt worden war, und deren Vergabe auf Grund der Corona-Pandemie verschoben werden musste: Dr. Alganesh Fessaha. Sie ist Präsidentin der italienischen Nicht-Regierungsorganisation Gandhi und war von der Elfenbeinküste per Zoom zugeschaltet. „Es geht um Mut und Zuversicht“, erklärte Superintendentin Susanne Beuth in ihrer Begrüßung.

„Sie ist sehr engagiert“, sagte Andreas Wolter, Bürgermeister der Stadt Köln, in seinem Grußwort und würdigte die Arbeit von Dr. Alganesh Fessaha. An die Preisträgerin gewandt sagte er: „Ihr Vorbild macht anderen Menschen Mut.“ Sie setze sich für Gefangene und Geiseln ein. Die Befreiung von Menschen aus Gefangen- und Geiselschaft, ohne dabei ihr Leben zu gefährden, sei sehr schwierig. Sie habe den Mut, mit kriminellen Menschen in Kontakt zu treten und habe so tausende Menschen gerettet. Die Themen Sklaverei und Menschenhandel würden mit der Vergabe des Preises an Dr. Alganesh Fessaha in den Fokus gerückt.

Andreas Wolter, Bürgermeister der Stadt Köln.
Andreas Wolter, Bürgermeister der Stadt Köln.

Daniel Oesterreich von „International Justice Mission“, einer Organisation, die sich weltweit dem Kampf gegen Menschenhandel und moderner Sklaverei widmet, hielt die Laudatio. Er wies auf die Gefährdung von Flüchtlingen auf allen Fluchtrouten – auch an den europäischen Grenzen hin: „Das ist einer der Gründe, weshalb ich die Wahl von Frau Dr. Fessaha als diesjährige Preisträgerin so sehr begrüße: ihr Einsatz hat Leuchtkraft für ein hochaktuelles geopolitisches und humanitäres Thema. Menschen auf der Flucht sind nämlich in besonderer Weise schutzlos und somit angreifbar. Groß ist somit die Gefahr, ins Zielvisier von Menschenhändlern und anderen Kriminellen zu geraten.“

Dr. Alganesh Fessaha freute sich über die Auszeichnung. „Ich möchte allen ganz herzlich danken, die an dieser Veranstaltung heute teilnehmen“, sagte sie in der Videoschalte aus Afrika. Sie kümmere sich in der NGO Gandhi insbesondre um Kinder in mehreren afrikanischen Ländern und Indien. „Wir betreuen auch Frauen, die von ihren Männern schwer misshandelt worden sind oder die sich für politische Themen eingesetzt haben und dafür ins Gefängnis geworfen worden sind. Aus der Hand von Menschenhändlern, die mit Menschen aber auch mit Organen handeln, haben wir insgesamt 10.000 Frauen und Kinder befreit.“ Und weitere 750 Kinder seien aus der Hand von Organhändlern in Sicherheit gebracht worden. Wenn jemand sie frage, wieso sie das tue: „Ich antworte dann, ich kann gar nicht damit aufhören. Diejenigen, die vor mir diese Arbeit getan haben, haben ebenfalls so wie ich ihr Leben für andere Menschen hingegeben.“ Das sei für sie der Grund, mit dieser Arbeit niemals aufzuhören.

Seit 1981 werden mit der Pfarrer-Georg-Fritze-Gedächtnisgabe zunächst jährlich, seit 2003 alle zwei Jahre, Menschen und Institutionen gewürdigt, die sich für die Opfer von Diktatur, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen stark machen oder selbst zu Opfern wurden. Wer Preisträger wird, entscheiden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kreissynode Köln-Mitte aufgrund von Vorschlägen zumeist aus den Gemeinden. Untern den Preisträgerinnen und Preisträgern der vergangenen Jahre waren unter anderem der kürzlich verstorbene Schriftsteller Dogan Akhanli, Pfarrer i.R. Chu Yiu-Ming, Menschenrechtsaktivist in Hong Kong und Aktion Sühnezeichen Friedensdienste ASF.

Stichwort: Kirchenkreis Köln-Mitte

Der Evangelische Kirchenkreis Köln-Mitte setzt sich aus den sechs Gemeinden Köln, Riehl, Nippes, Lindenthal, Klettenberg und Deutz/Poll zusammen. In den Gemeinden leben rund 44.000 evangelische Christinnen und Christen. Geleitet wird der Kirchenkreis Köln-Mitte von Superintendentin Susanne Beuth gemeinsam mit dem Kreissynodalvorstand.

Text: Frauke Komander
Foto(s): APK

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