Gedenkstunde am Löwenbrunnen: Erinnerung an die aus Köln deportierten und ermordeten Kinder
Ein gemeinsames wichtiges Zeichen gegen Hass, Antisemitismus, Rassismus und jede Form von Diskriminierung und Ausgrenzung – das ist die jährliche Veranstaltung am Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust an der Kindergedenkstätte Löwenbrunnen in der Kölner City. Vertretende der Synagogen-Gemeinde Köln, der Stadt Köln, des Katholischen Stadtdekanates und des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region in Verbindung mit dem Arbeitskreis „Lern- und Gedenkort Jawne“ gedachten mit zahlreichen Schülern und Schülerinnen insbesondere der aus Köln deportierten und ermordeten jüdischen Kinder. Ebenso erinnere man an jüdische Menschen, denen die Flucht aus ihrer Heimatstadt vor nationalsozialistischer Verfolgung etwa nach Palästina und England gelungen ist.
„Ihr seid der Grund, weshalb wir alle hier sind“, richtete sich Pfarrerin Ulrike Gebhardt in ihrer Begrüßung auch an Schüler und Schülerinnen aus Köln und Hennef. Sie trugen Biografien jüdischer Kölnerinnen und Kölner vor, beeindruckten mit einem eigens verfassten Gedicht und Viertklässler und Viertklässlerinnen der Olympia-Schule interpretierten das Friedenslied „Hevenu Shalom Alechem“. Gebhardt sprach ihren großen Dank an die Ausrichtenden und Teilnehmenden aus – Dank auch für die regelmäßige inhaltliche Unterstützung der Stadt. Sie begrüßte unter anderem Jakub Wawrzyniak, den polnischen Generalkonsul in Köln sowie Christina Zimmermann vom Katholischen Schulreferat Köln. „Uns ist es wichtig, dass die Arbeit mit Schüler und Schülerinnen ökumenisch weitergeht“, betonte Gebhardt.
Mit der von Dieter und Irene Corbach initiierten Gedenkstätte auf dem Erich-Klibansky-Platz an der Helenenstraße wird namentlich der über 1.100 deportierten und ermordeten jüdischen Kinder und Jugendlichen aus Köln und Umgebung gedacht. Der achteckige Brunnen steht in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Areal des einstigen jüdischen Reform-Realgymnasium Jawne und der Synagoge der orthodoxen Gemeinde in Köln. Dort befand sich ein Zentrum jüdischen Lebens und Lernens.
„Warum sind wir hier?“, fragte eingangs Pfarrer Bernhard Seiger. Der Stadtsuperintendent des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region gab selbst die Antwort: „Wir sind hier am Gedenktag der Befreiung von Auschwitz vor 78 Jahren. Wir sind hier am Löwenbrunnen, weil das ein Ort ist, an dem wir das Geschehen von damals spüren können.“ Hier habe eine jüdische Schule gestanden, deren Schüler hier nicht haben bleiben dürfen, weil jüdische Menschen im „Dritten Reich“ nicht gewollt gewesen seien. Jesus, der ja Rabbi gewesen sei, habe vor 2000 Jahren mit Menschen Gespräche geführt. „Ich habe gelernt“, so Seiger: „Er stellte manchmal dieselbe Frage zweimal. So sind sie auf dem Weg und er fragt seine Leute: Worüber sprecht ihr? Und dann noch einmal. Worüber sprecht ihr? Und dann sagen sie, was sie bewegt.“
Wer nachfrage, wolle wirklich verstehen
„Beim zweiten Mal denkt man noch einmal genauer nach“, nannte es Seiger „die Chance der zweiten Frage.“ Wer nachfrage, wolle wirklich verstehen, wolle hinhören. „Wenn wir dieselbe Frage zweimal stellen, dann halten wir inne und gehen nicht einfach weiter und bleiben an der Oberfläche.“ Jesus sei ein Meister der Entschleunigung und des Innehaltens, wie die Rabbinen und wie viele religiösen Lehrer, sagte Seiger und erklärte: „Das heißt: jeder Frage eine zweite Chance geben. Also nicht zu schnell verstehen wollen, damit wir wieder zum Alltag kommen und das Schwierige hinter uns lassen.“
Und so fragte auch Seiger ein zweites Mal: „Warum sind wir hier? Weil dieser Tag aus guten Gründen in unseren Kalendern steht. Weil wir neu lernen wollen. Wie lesen Schülerinnen und Schüler, wie lest Ihr das, was hier geschah? Was nehmen Schülerinnen und Schüler aus Israel wahr?“, wandte Seiger sich in englischer Sprache an Jugendliche vom israelischen Bildungszentrum HaKfar HaYarok. Sie weilten im Rahmen eines deutsch-israelischen Austauschs in Köln und nahmen mit Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums Kreuzgasse an der Veranstaltung teil. „Antisemitismus lauert an vielen Ecken, dagegen wehren wir uns“, formulierte Seiger eine Botschaft für heute. Und wir würden ihn benennen, verwies er auf das im Mai geplante Konzert des ehemaligen Pink Floyd-Mitglieds Roger Waters in Köln. Dessen „Worte und Bilder“ seien antisemitisch und verletzten heute jüdische Menschen in ihrer Würde. „Wir werden als Kirchen kritisch darauf hinweisen, dass wir das Konzert sehr problematisch finden.“
„Warum sind wir hier?“, fragte Seiger abermals. „Weil wir zeigen wollen: Anders als 1938 und 1942, als die Schule der Jawne geschlossen wurde, schweigen wir nicht.“ Im Gegenteil – wir, die Stadt Köln, die christlichen Kirchen und die Synagogengemeinden, der 1.FC Köln und Karneval und viele mehr stünden zusammen. „Wir freuen uns über jüdisches Leben in unserer Stadt und Menschen, die ihren jüdischen Glauben offen und gerne leben. Wir lassen uns nicht mehr auseinanderbringen!“ Seiger dankte den Initiatoren und Initiatorinnen der Gedenkstunde und den anwesenden Schülern und Schülerinnen für ihre Beiträge: „Erzählen hilft, klarer zu sehen. Erzählen hilft, zu spüren, was wichtig ist. Erzählen schärft das Gewissen.“
Wichtig, den Holocaust nicht zu vergessen
„Ich freue mich, dass wieder so viele junge Menschen hier sind“, grüßte Bürgermeister Andreas Wolter (Grüne) für den Rat der Stadt Köln. Es sei wichtig, den Holocaust nicht zu vergessen. Jeder Mensch habe Rechte und die Freiheit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das sei damals nicht selbstverständlich gewesen.
Schüler und Schülerinnen des Städtischen Gymnasiums Hennef informierten über den Kölner Jonas Königshöfer (1920 – 2015). Der ehemalige Jawne-Schüler konnte sich wenige Tage nach Kriegsbeginn 1939 nach Palästina retten, wo er den Namen Jona Hatsor annahm. Auch seine vier Geschwister überlebten „den Krieg und die Shoah“. Die Eltern wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet. Ein Oberstufenkurs des Gymnasiums Schaurtestraße berichtete von Ilse Buttenwieser (1913 – 2012), die 1937 mit ihrem Mann in die USA flüchten konnte. „Den Glauben, dass Menschen eigentlich gut sind“, habe sie nie verloren. „Toleranz war ihr und ihrer Familie immer wichtig. Das finden wir beeindruckend“, leiteten die Jugendlichen ein eingespieltes Tondokument eines Interviews mit Buttenwieser ein. Gymnasiasten und Gymnasiastinnen aus Köln-Rodenkirchen erzählten von den Schicksalen zweier weiterer Geretteter.
Gedicht „Erinnerung & Gedenken“
Die 17-jährige Felicitas Graunke, Schülerin des Rodenkirchener Gymnasium beendete den Beitrag mit ihrem Gedicht „Erinnerung & Gedenken“: „Kristall. Ich denke an Schmuck, an Schönheit, an Glanz, an das gläserne Glitzern bei Lichteinfall, an rätselhafte, doch zugleich unverkennbare Brillanz. / Kristallnacht. Ich denke an den vollen Mond, der sich spiegelt im Rhein, an die goldenen Sterne die den Himmel schmücken in all ihrer Pracht, an stille Einkehr beim Anblick des Wassers blässlichen Scheins. / Reichskristallnacht. Kein Glanz, keine Pracht, kein Licht. Nur das Geräusch wie es knallt, klirrt und kracht, während ein weiteres Stück Hoffnung in sich zusammenbricht. / Sie sehen keinen Schmuck. Sie sehen Scherben. Zerstörung, wohin man auch guckt. Und doch nur der Anfang von dem, was sie erleiden werden.“
„Es ist beeindruckend, wie Ihr Einzelschicksale behandelt habt“, wandte sich Abraham Lehrer, Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln, an die Schüler und Schülerinnen. Er bezeichnete die Gedenkarbeit als etwas sehr wichtiges. „Für die Zeit von 1933 bis 1945 tragt ihr keine Schuld. Aber ihr gehört zu dieser Gesellschaft“, ermutigte Lehrer, gegen Mobbing und Ausgrenzung aufzustehen. „Ob in der Schule oder in der Freizeit, wenn euch so etwas begegnet, widersprecht. Ihr müsst euch nicht in Gefahr begeben“, sagte Lehrer, „aber wo nötig und möglich, widersprecht. Ihr Größeren, zeigt Zivilcourage, weist die anderen in die Schranken“, bat er. Ganz wichtig für Verständigung sei der Austausch zwischen jungen Menschen in Deutschland und Israel.
„Es gibt nichts, dass die Nachkriegszeit Israels besser darstellt, als die Tatsache, dass wir eine israelische Jugend haben“, hob Rabbiner Yechiel Brukner von der Synagogen-Gemeinde Köln hervor. Zuvor hatte auch er sich an die israelischen Gäste gewandt. „Schaut, wie viele Kinder von den Menschen entstanden sind, die damals nach Palästina gegangen sind.“ Antisemitismus und Verehrung nationalsozialistischen Gedankengutes seien leider nicht vergangen. „Wir sollten wissen, das ist da, jetzt“, warnte er. Viele von den jüdischen Menschen, die damals in Deutschland geblieben seien, weil sie gedacht hätten, es gehe vorbei, hätten sich geirrt. Die Schüler und Schülerinnen nannte er Botschafter und Botschafterinnen. „Jede und jeder von Euch muss hunderte Menschen informieren über das Geschehene“, wünschte er ihnen dabei von ganzem Herzen viel Erfolg.
„Niemals dürfen wir schweigen“
Dass sich junge Menschen mit diesem schwierigen Thema beschäftigten, sei wichtig, aber nicht selbstverständlich, würdigte Christina Zimmermann das Engagement der Schüler und Schülerinnen. Dabei berühre die Beschäftigung mit Einzelschicksalen sehr. „Ihr habt gezeigt, dass euch das wichtig ist an diesem Tag“, bekundete auch der evangelische Schulreferent Rainer Lemaire den Jugendlichen seinen Dank. Nachdem Mordechay Tauber, Kantor der Synagogen-Gemeinde Köln, Psalm 110 und das „El Male Rachamin“ („Gott voller Erbarmen“) vorgetragen hatte, zeigte sich Gebhardt dankbar darüber, „dass in unserem Land auch in Hebräisch gebetet wird“. Und sie dankte Brukner, „dass Sie uns ermutigen, laut zu werden“. In seinem Schlussgebet bat der Kölner Stadtdechant Monsignore Robert Kleine, „dass wir unsere Erinnerung wachhalten und sie Motivation für unser Handeln ist. Wir lernen am 27. Januar: Verzeihung entwaffnet Hass.“ Auch wenn Anklage menschlichen Verhaltens unangenehmer sei als Schweigen, so Kleine: „Niemals dürfen wir schweigen.“
Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich
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