Die Große Transformation: Podium mit dringlichen Appellen an Kirche und Gesellschaft

„Wir müssen massiv runterfahren!“ Die CO2-Emissionen, den Energie- und Ressourcenverbrauch, Konsum, das bisherige wohlstandsge- und verwöhnte Verhalten. Die Theologin und Aktivistin Dr. Gudula Frieling vom Ökumenischen Institut für Friedenstheologie lässt daran keinen Zweifel. Als Teil der Bewegungen „Die Kirche(n) im Dorf lassen“, „Extinction Rebellion“ und „Scientist Rebellion“ war sie zu Gast im DOMFORUM beim ökumenisch verantworteten Podium „Die Große Transformation. Welche gesellschaftlichen und kirchlichen Kulturen des Wandels brauchen wir jetzt?“. Der Abend war geprägt von dringlichen Appellen des Podiums, zu dem auch Studienleiter Dr. Martin Horstmann vom Mitveranstalter Melanchthon-Akademie gehörte. Auch das Publikum diskutierte engagiert mit und unterstützte unter anderem lautstark die Forderung der Extinction- und Scientist-Rebellion-Aktivisten auf dem Podium, dass sich die Kirchen für den Erhalt des Ortes Lützerath einsetzen sollten, der dem Tagebau Garzweiler weichen soll.

Frieling will aufrütteln, doch ist man sich auf dem Podium auch einig: Bei solchen Veranstaltungen erreicht man sowieso „nur“ die, die sich der Thematik und Problematik von Klimawandel, Energiekrise und der Notwendigkeit für einen umfassenden gesellschaftlich-globalen Wandel schon bewusst sind. Darum muss das Thema weitergetragen werden – in die Kirchen, Gemeindehäuser und kirchlichen Akademien, in Kitas und Schulen, auf die Straßen. Und letztlich überallhin, wo Menschen sich begegnen und miteinander sprechen.

„Es ist die zentrale Krise“

Vor rund vier Jahren sei ihm klargeworden, dass die Klima- und ökologische Krise nicht eine von mehreren Krisen ist, sondern dass es DIE zentrale Krise ist, erzählt Professor Dr. Nikolaus Froitzheim. Der Geologe von der Universität Bonn engagiert sich ebenfalls bei „Extinction Rebellion“ und „Scientist Rebellion“. „Denn sie stellt alles infrage. Und deswegen habe ich das ganz oben auf meine Agenda gesetzt. Das ist immer die Nummer Eins“, so Froitzheim. Er habe „sehr viele Sachen“ ausprobiert, bis zum zivilen Ungehorsam. „Ich habe mich in Berlin auf ’ne Straße geklebt und so weiter.“

Die Klima- und ökologische Krise ist für Froitzheim auch eine Frage der christlichen Barmherzigkeit. Denn sie finde jetzt statt in den Ländern des globalen Südens. In Pakistan seien im Sommer 1500 Menschen gestorben bei einer Flutkatastrophe, bei der ein Drittel des Landes unter Wasser gestanden habe. „800.000 Häuser sind zerstört worden. Wo Menschen drin gewohnt haben. Dort findet die Katastrophe jetzt statt!“, betont Froitzheim. Woanders, etwa am Horn von Afrika, fallen die Regenzeiten aus. Es kommt zu langen Dürrezeiten, die Hunger und andere Probleme nach sich ziehen.

Globale Perspektive einnehmen

„Wir betrachten die Sache immer aus Deutschland“, kritisierte der Wissenschaftler und Aktivist. „Wir müssen unsere Wirtschaft schützen und so weiter. Wir müssen weiter diese Blechpanzer produzieren, weil da Arbeitsplätze dranhängen. In Pakistan emittieren die Menschen eine Tonne CO2 pro Kopf pro Jahr. Wir in Deutschland emittieren sieben Tonnen CO2 pro Jahr pro Kopf. Mit welchem Recht?“

Unbarmherzig mache man in Deutschland weiter wie zuvor. „Und es wird immer schlimmer“, konstatierte Froitzheim. Von 2020 auf 2021 seien die Emissionen von Treibhausgasen in der Bundesrepublik angestiegen, von 2021 aufs erste Halbjahr 2022 noch einmal und es sehe so aus, als ob sie weiter ansteigen. „Deswegen ist es für mich eine Frage der Barmherzigkeit. Ich fange erst gar nicht an, von der Zukunft zu reden, was mit unseren Kindern und Enkeln passiert. Denn die Richtung, die wir haben, ist die falsche!“, sagte Froitzheim unter großem Applaus mit Blick auf globale Gerechtigkeit.

Kirchen sollen Mahner, Mittler und Motor sein

Dass von den Kirchen mehr Engagement für das Klima und den Wandel erwartet wird, wurde an diesem Abend mehrfach deutlich. Die Kirchen müssten „Mahner, Mittler und Motor“ der Klima- und Wandelbewegungen sein, forderte Professor Dr. Uwe Schneidewind, ehemals Präsident des  „Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie“ und jetzt Oberbürgermeister von Wuppertal.

Pfarrerinnen und Pfarrer sollten regelmäßig über das Thema predigen, Pfarrgemeinderäte und Presbyterien dafür sorgen, dass die Klimakrise „mindestens einmal alle vier Wochen“ im Gottesdienst angesprochen werden, lautete ein Vorschlag und eine Forderung aus dem Publikum.

„Die Kirche hat Räume“, erinnerte Dr. Christian Weingarten, Leiter der Abteilung Schöpfungsverantwortung und Umweltbeauftragter des Erzbistums Köln. „Diese Räume müssten wir öffnen, für die Planung von Demonstrationen oder dafür, wie man Lebensmittel retten kann, oder anderes.“ Auch wenn sich schon vieles getan habe, fordert der Diplom-Ingenieur „mehr“ von der Kirche. „Wir können als Kirche Vermittler sein zwischen sozialen und ökologischen Fragen“, sagte Weingarten. „Wir können nicht mehr nur Natur- oder Umweltschutz machen, sondern diese ganze Dimension hat auch immer eine ganz große soziale Komponente. Das sehen wir jetzt gerade auch in der ganzen Energiekrise.“ Die Kirche müsse eine gesellschaftliche Spaltung verhindern und dürfe die Menschen, die durch die Energiekrise in Not geraten, nicht aus dem Blick verlieren. Zugleich sei es ihre Aufgabe, den notwendigen Wandel beim Umgang mit Energien und Ressourcen auch als Chance zu kommunizieren.

Engagierte vernetzen

Eine der Kernfragen sei, wie man die Menschen erreiche und für das Thema gewinne, sagte Dr. Martin Horstmann, Studienleiter an der Melanchthon-Akademie. Dabei dürften die seelsorgliche und emotionale Arbeit nicht vergessen werden.

Zudem sei es wichtig, die oft in ihren Gemeinden vereinzelt dastehenden Engagierten miteinander in Kontakt zu bringen, so Horstmann. „Es gibt in jeder Gemeinde eine Handvoll oder ein Dutzend Engagierter, die tolle Sachen machen. Aber die haben einfach nicht genug Masse, um das voranzubringen.“ Wenn man die alle vernetzen würde, könnte eine ganz neue Energie, Wirkkraft und Lust für das Thema entstehen.

„Das Problem sind unsere Generationen“

Während Froitzheim mit Blick auf die Bewusstseinsbildung in Kindertagesstätten und Schulen betonte, dass man die dringenden Fragen und Herausforderungen nicht der jungen Generation aufbürden dürfe, meinte Weingarten, dass man schon über Kitakinder die Eltern erreichen und für das Thema sensibilisieren könne, wenn die Kinder zu Hause davon berichten, was sie in der Kita lernen und erleben. Einig waren sich Podium und Publikum, dass jetzt jede und jeder gefragt und gefordert ist: „Das Problem sind unsere Generationen“, lautete die Botschaft.

Die Grenzen der Politik offenbarte Uwe Schneidewind, der seit rund zwei Jahren Wuppertaler Oberbürgermeister ist. Der Grünenpolitiker erklärte, er sei binnen seiner Amtszeit in die Rolle des Oppositionsführer gerutscht, so schwierig sei es, auf der kommunalen Ebene eine Mehrheit für Maßnahmen wie autofreie Innenstädte zu finden. Mutige Entscheidungen würden bisweilen von Widerstand vor Ort ausgebremst.

„Wir brauchen eine Klimarevolution“

Gleichzeitig plädierte der Wirtschaftswissenschaftler, der von 2011 bis 2017 auch Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages war, dafür, angesichts der gegenwärtigen Krisen und Veränderungen nicht den Mut und die Hoffnung zu verlieren, sondern sich aktiv zu engagieren.

Immer wieder wurde an diesem Abend zum Engagement aufgefordert. Gudula Frieling rief dabei unter großem Applaus zum zivilen Ungehorsam auf. Die Dringlichkeit der Lage sei noch immer nicht jedem Menschen bewusst. „Wir müssen jetzt Schluss machen“, betonte sie und forderte etwa, „Luxuskonsum“ zu verbieten und Autos aus den Straßen zu verbannen. „Wir brauchen eine Klimarevolution!“, rief die Aktivistin unter großem Applaus.

www.kirchen-im-dorf-lassen.de


Veranstaltung in der Melanchthon-Akademie –
Klima, Krise, Resilienz: Persönlicher Umgang mit einer kollektiven Krise

Vom 6. bis 10. März 2023 findet in der Melanchthon-Akademie das Seminar „Klima, Krise, Resilienz: Persönlicher Umgang mit einer kollektiven Krise“ statt. Im Mittelpunkt stehen die Vermittlung von fundiertem Wissen zur Klimakrise, ressourcenorientiertes Selbstmanagement und der Umgang mit den eigenen Gefühlen und Ängsten angesichts der Klimakrise. Gemeinsam mit dem Referenten, Coach und Berater Stephan Koch von „Psychologists 4 Future“ entwickeln die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen praxisorientierten Blick auf die systemischen Zusammenhänge von Klima, Individuum und Gesellschaft.

Information und Anmeldung:

www.melanchthon-akademie.de

Text: Hildegard Mathies
Foto(s): Hildegard Mathies

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