Christina Bacher stellt im Vringstreff das Buch „Die Letzten hier“ vor

Die Pandemiejahre haben den Menschen einiges abverlangt. Kaum ein Lebensbereich blieb von Einschränkungen und Schutzbestimmungen verschont. Während die Lockdowns Großstädte in Geisterstädte verwandelten und „Wir bleiben zu Hause“ zum Mantra wurde, gerieten plötzlich diejenigen in den Fokus der Öffentlichkeit, die kein (oder kein eigenes) Zuhause haben. Die Kölner Autorin, Journalistin und Chefredakteurin des Straßenmagazins „Draussenseiter“ Christina Bacher hat unter dem prägnanten Titel „Die Letzten hier. Köln im sozialen Lockdown“ (ISBN 978-3-89126-267-2) eine Auswahl von Texten und Fotos zusammengestellt, die einen Blick auf das Leben auf der Straße in einer Stadt im Ausnahmezustand wirft. Ermöglicht wurde das Projekt durch ein Stipendium der Kunststiftung NRW.

Im Rahmen der Ausstellung „Kunst trotz(t) Ausgrenzung“ stellte sie im Vringstreff (Im Ferkulum) das Buch gemeinsam mit der Lyrikerin Sabine Schiffner vor, die einige Gedichte zu dem Band beigesteuert hat. Ebenfalls anwesend war die Fotografin Ingrid Bahß, die die Situation der Obdach- und Wohnungslosen in einfühlsamen Schwarz-weiß-Fotografien festhielt. Sie habe sich zunächst als „Opfer“ gefühlt, so Bahß, und durch ihre Streifzüge mit der Kamera die Situation quasi „umgedreht“ – als künstlerischer Akt der Selbstermächtigung.

Für Obdachlose fielen sämtliche Verdienstmöglichkeiten weg

Christina Bacher wies zunächst darauf hin, dass Obdachlose aufgrund ihres Gesundheitszustandes oft zur Risikogruppe gehörten und daher erst recht auf Schutz angewiesen wären. Gleichzeitig brachen nicht nur sämtliche Verdienstmöglichkeiten (Betteln, Flaschensammeln, Verkauf des Straßenmagazins) weg, sondern auch die Anlaufstellen für Menschen auf der Straße waren zeitweise geschlossen oder nur sehr eingeschränkt zugänglich. Durch Ausgangssperren und Lockdowns wurde die Armut jedoch auch sichtbarer und ließ sich nicht mehr so leicht verdrängen.

Begleitet von an die Wand projizierten Fotos lernten die Teilnehmenden einige der im Buch porträtierten oder als Autoren und Autorinnen beteiligten Persönlichkeiten näher kennen. Lothar z.B. nimmt wie ein Seismograph mit erstaunlicher Präzision die gesellschaftlichen Entwicklungen in seiner Umgebung wahr. Sein Text über seinen ersten Corona-Test („Ein positives Ergebnis könnte Quarantäne bedeuten“) ist eine ungemein gut beobachtete und scharfsinnig-kritische Beschreibung eines bürokratischen Panoptikums. Da ist Caroline („Caro“), die von einer Karriere als Schmuckdesignerin träumt, mit ihrem Ehemann Christoph in einem Hostel am Dom untergekommen ist und auf ein baldiges Ende der Pandemie hofft. Leider haben nicht alle Protagonisten und Protagonistinnen des Buches die Corona-Pandemie überlebt. Egbert, ein ehemaliger Triathlet aus den Niederlanden, der nach einer Reise kreuz und quer durch Europa von Frankfurt nach Köln gelaufen war, starb kurz vor seinem 50. Geburtstag am 11. Oktober 2020. Von ihm stammen eindrückliche Schilderungen jener Aggression und Gewalt, der Obdachlose während der Lockdowns ausgesetzt waren.

Poetischer Rahmen mit großer emotionaler Spannweite

Sabine Schiffners meist von persönlichen Begegnungen inspirierte Gedichte gaben Christina Bachers Vortrag und ihren erläuternden Ausführungen einen poetischen Rahmen mit großer emotionaler Spannweite. Während Schiffner in „Kälteidiotie“ den Kältetod eines Obdachlosen am Rudolfplatz thematisiert, stellt „Der Weihnachtsmann am 20.1.20“ das Verhältnis von Geben und Nehmen auf tröstlich-provokative Weise auf den Kopf. Auch der oft schmale Grat zwischen Hinsehen und Voyeurismus kommt zur Sprache, so z.B. in dem Gedicht „An der Ampel“.

Besonders gelungen am Konzept dieser Buchpräsentation war die Interaktion zwischen den Akteuren „auf der Bühne“ und dem Publikum. Immer wieder kam es zwischen den einzelnen Leseblöcken zu spontanen Reaktionen und zum Erfahrungsaustausch. Und am Ende der Veranstaltung sagte eine Teilnehmerin: „Ich habe Köln ganz neu kennengelernt.“

Text: Priska Mielke
Foto(s): Priska Mielke

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