Die künstliche Intelligenz wird den Menschen nicht verdrängen – Evangelische und katholische Telefonseelsorge suchen ehrenamtliche Mitarbeitende

75 Anrufe erreichen die evangelische und katholische Telefonseelsorge (TS) täglich. Durchschnittlich zehn davon haben Suizidalität zum Thema. Das sind sieben Menschen, die erwägen, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Mehr muss man eigentlich nicht sagen, um die Wichtigkeit der beiden Institutionen zu betonen. Die Leiterin der evangelischen TS, Pfarrerin Charlotte Horn, und ihre Kollegin von der katholischen TS, Annelie Bracke, hatten zu einem Pressegespräch eingeladen, um auf die Ausbildungsgänge für ehrenamtliche Mitarbeitende hinzuweisen, die im September 2026 beginnen werden.

Ehrenamt mit Verantwortung: Ausbildung und Engagement bei der TS

Im Moment engagieren sich bei der katholischen TS 70 Menschen, bei der evangelischen TS 90. Wer sich bewirbt, erfährt eine umfangreiche Ausbildung, etwa in der Gesprächsführung. Einzel- und Gruppengespräche werden geführt, man hospitiert bei Anrufen. 150 Stunden im Jahr sind dafür vorgesehen, bevor das Engagement am Telefon beginnt. Nach der kostenlosen Ausbildung verpflichtet man sich, drei Jahre bei der TS mitzuarbeiten – 15 Stunden pro Monat, auch an Feiertagen und nachts. „Die TS fußt auf drei Säulen: Qualifizierung, Gemeinschaft und Spiritualität“, sagt Charlotte Horn.

Belastungen, Isolation und gesellschaftlicher Druck als häufige Themen

Themen in den Telefongesprächen sind sehr häufig Beziehungsprobleme in Partnerschaften, Familien und Alltagsbeziehungen, Ängste, Stress und emotionale Erschöpfung, depressive Stimmungen, Einsamkeit und Isolation sowie das körperliche Befinden, Beschwerden, Erkrankungen und Behinderungen. „Die allgemeine Verunsicherung angesichts der Weltkrisen wächst“, stellt Annelie Bracke fest. „Und Armut wird immer mehr zum Thema. Armut ist sehr schambesetzt. Viele fürchten um ihre gesellschaftliche Teilhabe wegen Geldmangels.“
Mehr Menschen würden versuchen, die TS zu erreichen, als letztlich durchkämen. „Wir appellieren deshalb an die Anruferinnen und Anrufer, sich auf einen Anruf pro Tag zu beschränken“, fügt Bracke hinzu. Deshalb habe man folgende Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen: „Wenn Sie schon ein Gespräch hatten, rufen Sie bitte morgen wieder an.“

KI als neue Herausforderung in der Seelsorge

Neu sei, so Charlotte Horn, dass viele Anruferinnen und Anrufer zuvor die KI – also etwa ChatGPT – um Rat bei ihren Problemen gefragt hätten. Die KI, ergänzt Bracke, habe sich gegenüber den Menschen erstaunlich differenziert geäußert. Und sie sei immer verfügbar. Trotzdem werde sie den Menschen als Gesprächspartner niemals verdrängen, ist sich Charlotte Horn sicher. „Der KI fehlt der Humor, die Spontanität. KI schafft keine Vertrauensbasis, wie Menschen sie herstellen können.“ Es fehle der menschliche Faktor, so Bracke. „Man kann am Telefon auch mal erschüttert sein, sprachlos, man kann schweigen, muss Pausen aushalten können. Das kann die KI nicht.“
Die TS ist weltweit vernetzt. Im nächsten Jahr wird ein Kongress in Budapest das Thema „KI und menschliche Begegnung“ vertiefen.

Weitere Informationen zur Mitarbeit finden sich auf der Internetseite der Telefonseelsorge:
https://www.telefonseelsorge.koeln/ehrenamtliche-mitarbeit/

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann

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