„Wegbereiterinnen: Go for Gender Justice meets Via Reformata” – Stadtgänge machen Frauengeschichte und Frauenleben sichtbar
Für Geschlechtergerechtigkeit buchstäblich hinausgehen auf die Straße – das geht auch jenseits von Demonstrationen und Kundgebungen. Mit dem neuen Angebot „Wegbereiterinnen: Go for Gender Justice meets Via Reformata“ laden die Frauenbeauftragte des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, Pfarrerin Dorothee Schaper, und Pfarrerin Almuth Voss gemeinsam mit einem Autorinnenteam ein, Frauengeschichte und Frauengegenwart in Köln zu entdecken. Zwei Stadtgänge führen zwischen AntoniterCityKirche und Severinsviertel auf verschiedenen Routen durch die Stadt. Ganz bewusst kreuzen sie dabei auch die „Via Reformata“.
„Während die ,Via Reformata‘ historische Orte protestantischer Stadtgeschichte markiert, konzentrieren sich die ,Go for Gender Justice-Stadtgänge‘ darauf, Frauen in den Fokus zu stellen, denen die Frage nach Gerechtigkeit in ihrer je eigenen Facette am Herzen liegt“, schreiben Schaper und Voss im Flyer der im Januar der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. „Sie sollen hier sichtbar und hörbar werden.“ Die ersten beiden „Go for Gender Justice-Stadtgänge“ seien ein eigenes Projekt, könnten zugleich aber als eigenständige Resonanz zur „Via Reformata“ verstanden werden, heißt es weiter.
Vorgestellt werden unter anderem Frauen aus Politik und Stadtgesellschaft, aus den Religionen und der Kultur, die sich nicht nur für Gleichberechtigung, sondern auch für Fortschritte in Politik und Gesellschaft oder den Religionsgemeinschaften eingesetzt haben oder heute aktuell einsetzen. Dazu gehören zum Beispiel die Theologin Dorothee Sölle, Kölns erste Stadtdirektorin Dr. Hertha Kraus und die erste Imamin Rabeya Müller, die erste Rabbinerin Natalia Verzhbovska sowie die Journalistin Shikiba Babori und die Professorin Dr. Katajun Amirpur, die unterdrückten afghanischen Frauen und Mädchen eine Stimme geben. Ausdrücklich wird auch dazu eingeladen, auf weitere Wegbereiterinnen hinzuweisen, damit die Stadtgänge sich weiterentwickeln.
kirche-koeln.de hat mit Dorothee Schaper über das Projekt gesprochen:
Wer sind für Sie aktuelle Wegbereiterinnen in Kirche, Politik und Gesellschaft?
Dorothee Schaper: Ich freue mich sehr darüber, dass die kirchliche Hochschule der evangelischen Kirche im Rheinland in Wuppertal seit diesem Jahr das „Institut für Feministische Theologie, Theologische Geschlechterforschung und soziale Vielfalt“ beherbergt und dort sowohl Studierende als auch Professor:innen intersektionale Perspektiven und Fragestellungen für Theologie und Kirche entwickeln. Ich freue mich über jede und jeden einzelne und einzelnen Ehrenamtliche und Ehrenamtlichen und Prädikant sowie Prädikantin in der EKiR, die beziehungsweise der das Thema Genderjustice in Liturgie und Entscheidungsfindung ernst nimmt und aktiv auf dem Radar hat. Ich selber lebe in einer bikulturellen persisch-deutschen Familie und bin in diesen Wochen tief beeindruckt von dem Mut der Frauen und Mädchen sowie auch der Männer und Jungen, die im Iran für Selbstbestimmung und gleichberechtigte Strukturen auf die Straße gehen, Wegbereiterinnen im wahrsten Sinne des Wortes. Ich freue mich auch über Frauen und Mädchen der nächsten Generation, ob einheimisch oder eingewandert, ob in Synagoge, Kirche oder Moschee, die sich sehr viel selbstverständlicher ihren Raum nehmen und sich nicht länger vorschreiben lassen, wie sie sich zeigen, verstehen und ins Gespräch bringen wollen.
Warum ist es so wichtig, Frauen sichtbar zu machen?
Schaper: Aktuelle Statistiken wie der Gleichstellungsatlas des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie die Statistiken der Stabstelle Vielfalt und Gender der EKiR und Themen wie „equal pay“, „equal care“ zeigen statistisch ganz deutlich, dass wir als Frauen, Männer und diverse Personen immer noch nicht auf Augenhöhe miteinander leben. Solange die Statistiken so ausfallen, macht es Sinn, an diejenigen zu erinnern, die mit viel Engagement und Ideenreichtum die Frage nach (Geschlechter-)Gerechtigkeit auf ihre jeweilige Art und Weise vorangetrieben haben und vorantreiben. Solange es Länder auf dieser Welt gibt, in denen Frauen nicht öffentlich singen dürfen und solange mir Kolleginnen in kirchlichen Leitungspositionen heute noch sagen, dass sie ein bis zweimal besser sein müssen, als ihre männlichen Kollegen, um in Leitung anerkannt zu sein, lohnt es sich, die Stimmen von Frauen laut hörbar zu machen und die Lebensleistungen unserer Wegbereiterinnen sichtbar zu machen und zu ehren.
Sind Sie optimistisch, dass das irgendwann nicht mehr notwendig sein wird, weil Frauen und Männer in ihren Persönlichkeiten, Leistungen und ihrem Sein in naher oder ferner Zukunft gleichberechtigt und gleich gewertschätzt sein werden?
Schaper: Wenn ich mir anschaue, was in den letzten Jahrzehnten für Lernwege in vielen protestantischen Kirchen, in Bezug auf Ämtergleichheit und auf die Gleichberechtigung von Lesben und Schwulen und anderen Personen gegangen wurden und welche Entscheidungen in Richtung Gleichberechtigung getroffen wurden, dann gibt es doch Grund zu hoffen, dass sich diese Entwicklung in Richtung gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung von Vielfalt fortsetzen wird, auch wenn es rechtspopulistische Gegenbewegungen gibt.
Wo sehen Sie aktuell die drei größten Herausforderungen auf diesem Weg?
Schaper: Aktuelle Herausforderungen sehe ich darin, die verschiedenen Formen von Diskriminierung und Exklusion wie Sexismus, Rassismus, Antisemitismus sowohl beim Theologietreiben als auch in der kirchlichen Praxis stärker zusammenzudenken und somit intersektionale Perspektiven in und für Kirche und Gesellschaft zu entwickeln. Das beinhaltet auch, rechtsgerichtete Positionen in Kirche und Gesellschaft, die Diskriminierungsstrukturen ignorieren wollen, zu entlarven, um so antifeministischen, rechtspopulistischen Haltungen den Boden zu entziehen. Meine Einladung, ein deutliches „NEIN“ gegen Gewalt gegen Frauen auch in Kirche während der „Orange Days“ sichtbar zu machen, soll deutlich machen, dass die Abschaffung dieser Gewalt und das Recht auf Selbstbestimmung weltweit aber auch ganz konkret Köln eine Voraussetzung für ein Miteinander auf Augenhöhe ist und die Gottesebenbildlichkeit des Menschen ernst nimmt. Das Thema „Wer spricht und wer wird gehört?“ spielte auf der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe eine große Rolle. Wenn uns in unseren kirchlichen und gesellschaftlichen Entscheidungsebenen eine wirkliche Balance von Jungen und Alten, von Frauen und Männern von Einheimischen und Eingewanderten und ein Zusammenspiel aller Schöpfungsperspektiven – Pflanze, Tier, Mensch – gelingt, werden wir einen Schritt weiter sein.
Wegbereiterinnen: Stadtgang und Vorstellung
Text: Hildegard Mathies
Foto(s): Wegbereiterinnen/Schaper
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