Wahlkreisgespräch zum Thema „Klima – Wie geht es nach der Bundestagswahl weiter?“ in der Kartäuserkirche
Trotz verschiedener Meinungen und Schwerpunktsetzungen, ein heftiger Schlagabtausch war es eher nicht, was zuletzt in der evangelischen Kartäuserkirche in der Kölner Südstadt stattfand. Grundsätzlich waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gesprächsrunde zum Thema Klima einig über die großen Herausforderungen. „Klima – Wie geht es nach der Bundestagswahl weiter?“ hatte die Evangelische Gemeinde Köln ihre Veranstaltung betitelt. Dazu befragten der Pfarrer und Presbyteriumsvorsitzende Mathias Bonhoeffer sowie Prädikantin Alida Pisu, Presbyterin an der Lutherkirche, fünf Direkt- und Listenkandidatinnen und -kandidaten aus dem Wahlkreis 94 Köln II (Südliche Innenstadt, Rodenkirchen, Lindenthal). Für einen zusätzlichen Reiz sorgte, dass in fünf Runden die Podiumsgäste jeweils nur maximal zwei Minuten antworten durften. Im abschließenden Teil gingen sie kurz ein auch auf Fragen von Besuchenden. Am Ende bedankte sich Bonhoeffer für die Antworten – und für den guten Umgang miteinander. Immer wieder wurde betont, wie wichtig eine internationale, besonders europäische Herangehensweise sei. Wie fatal sich „Nichtstun“ in der Klimapolitik auswirke. Welche immense Bedeutung dem raschen Ausbau erneuerbarer Energien zukomme, wie sehr wir Forschung und Entwicklung bedürften.
Klimapolitik
Der Zeitpunkt für den Kohle- und Atomausstieg stehe fest, läutete Pisu die erste Runde ein. Von den Gästen wollte sie wissen, welche erneuerbaren Energien diese priorisieren und ob man die Energiegewinnung auf privater Ebene „irgendwie fördern kann“.
Matthias W. Birkwald (Die Linke) forderte einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere Solar- und Windenergie. Selbstverständlich sei es sinnvoll, Sonnenenergie über Anlagen auf Privathäusern zu nutzen, so der 59-jährige Diplom-Sozialwissenschaftler. Seit Oktober 2009 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages. Aber bei der Förderung solle das Geld dort ankommen wo es gebraucht werde, also auch bei Mietwohnungen.
Die FDP wolle die Energiewende stärken, dabei auf Innovation und Forschung setzen, sagte Joachim Krämer, Jahrgang 1990. Man müsse das Thema internationalisieren, ein System verschiedener Energien auf europäischer Ebene schaffen, so der Lehrer an einem Bonner Gymnasium. „Wir müssen viel mehr europäisch denken.“ Er sprach von der notwendigen Einführung eines festen CO2-Wertes. „Wir haben ein intensives Interesse an Innovation“, forderte er europaweit weniger Verbote. Krämer wünscht sich einen Markt, „der sich selber findet“.
Anna Kipp (Bündnis 90/Die Grünen), Jahrgang 1998, wollte sich nicht auf eine erneuerbare Energie festlegen. „Das Gesamtpaket macht es.“ Die Studentin der Geschichte und Ethnologie, die für Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit eintritt, plädierte für einen früheren Kohleausstieg. Ziel sei 2030. Kosten einer energetischen Gebäudesanierung dürften nicht auf die Mieter umgelegt werden. Mindestens zwei Prozent der Landesfläche müsse für Windkraft zur Verfügung gestellt werden, so Kipp. Das Ziel heiße hundert Prozent erneuerbare Energien. Unter anderem müsse die Industrie auf grünen Wasserstoff umstellen.
Für Dr. Sandra von Möller (CDU), Fachanwältin für Steuerrecht und Unternehmerin, sind die wichtigsten Energieformen Solar-, Wind- und Wasserkraft. „Darauf müssen wir im Moment voll setzen.“ Als Problem hat die 2020 zur Wirtschaftsbotschafterin in Köln ernannte 51-Jährige die Speicherung der gewonnenen Energie erkannt. Daher hält sie sie Forschung und Entwicklung der Speicherbarkeit für unverzichtbar. Wir müssten darauf setzen, dass man erneuerbare Energie weltweit transportieren könne.
Die studierte Biologin Marion Sollbach (SPD), Jahrgang 1967, kämpft für eine Umstellung auf erneuerbare Energie zu hundert Prozent bis 2040. „Heute haben wir fünfzig Prozent.“ Windkraftgewinnung an Land müsse ausbaut werden. „Dafür brauchen wir neue Abstandsregeln zu Bebauungen.“ In Köln sei Windenergie keine Option. Doch könne hier ein kleiner Beitrag über Erdwärme und Solarthermie geleistet werden.
Konziliarer Prozess zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung
Bonhoeffer erinnerte an die Vollversammlung des Ökumenisches Rates der Kirchen 1983 in Vancouver. Damals einigten sich die Vertreter der christlichen Weltkirchen auf einen Konziliaren Prozess zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. „Wie würden Sie das Verhältnis der drei Begriffe beschreiben? Wie ist das Verhältnis, ist es ein Dreiklang, eine Reihung?“, richtete er sich an die Podiumsteilnehmenden.
„Die drei lassen sich unter dem Begriff Demokratie vereinen“, erwiderte Krämer. Wenn wir uns für die drei Begriffe einsetzten, machten wir uns für Demokratie stark. Indem wir beispielsweise Rechtspopulismus bekämpften, setzten wir uns für die Schöpfung ein, für die Gleichwertigkeit aller Menschen.
Diese drei Begriffe gingen ebenso Hand in Hand wie soziale Fragen und Klimagerechtigkeit, so Kipp. „Wir streiten für ein gutes Leben für alle.“
Da treffe der Begriff des Friedens mit hinein. „Das müssen unsere Ziele sein“, sagte von Möller. Es müsse unser (Be)Streben bestimmen, unsere Gesellschaft sozial gerechter zu machen. So hätten es Familien aus bildungsfernen Schichten extrem schwer. Unser aller Ziel müsse sein, jedes Kind mitzunehmen. Ebenso Menschen hohen Alters. Auch sie hätten ein Recht auf Teilhabe, auf Fortbildung, sprach sie von notwendiger Generationengerechtigkeit. Frieden und Nachhaltigkeit gehörten zu den größten Zukunftsthemen für ein starkes Europa.
„Die drei Begriffe hängen voneinander ab, wobei der Gerechtigkeits-Effekt der dominierende ist“, so Sollbach. Sie streitet für eine auch Kriege verhindernde Ressourcen-Gerechtigkeit zwischen den Menschen im Norden und Süden. Die einen würden Ressourcen verbrauchen, die anderen fehle. Da müssten wir weltweit einen Ausgleich hinbekommen.
Birkwald, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion und ihr rentenpolitischer Sprecher im Deutschen Bundestag, zudem stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales, betonte: „Soziale Gerechtigkeit bedeutet auch soziale Sicherheit.“ Ohne Frieden sei alles nichts, nur Frieden reicht nicht, so der Agnostiker. „Alle drei Begriffe sind besonders wichtig“, sieht er sie in der Überschrift des Linken-Wahlprogramms „übersetzt“: „Zeit zu handeln: Für soziale Sicherheit, Frieden und Klimagerechtigkeit!“
„Wie wollen sie den Erhalt der Arten fördern, sie schützen, welche konkreten Schritte unternehmen?“
In der dritten Runde thematisierte Pisu das stark vermehrte Insektensterben. „Wie wollen sie den Erhalt der Arten fördern, sie schützen, welche konkreten Schritte unternehmen?“, weitete sie den Blick über das Insektensterben hinaus.
Kipp ging auf die Verantwortung der landwirtschaftlichen Betriebe ein. Sie forderte einen geringeren Pestizideinsatz, weniger Monokultur und den Verzicht auf Massentierhaltung. Insgesamt dürften weniger Flächen versiegelt, stattdessen renaturiert und zur Ausbreitung von Arten genutzt werden. „Das ist ein riesengroßes weites Ding.“ Auf Umweltzerstörung könne Deutschland handelspolitisch Einfluss nehmen, gab sie zu bedenken.
Von Möller will das globale Thema auch von der wissenschaftlichen Seite angehen. Sie sprach sich für entsprechende Forschungsinitiativen aus. Bei der notwendigen Ausweitung von Naturschutzgebieten gebe es unterschiedliche Interessen. Beispielsweise hätte der Jogger gerne Licht, die Fledermaus wolle es dunkel haben.
„Die artenreichsten Gebiete der Welt sind die Regenwälder“, ging Sollbach auf illegalen Raubbau und gravierende Verstöße gegen den Artenschutz ein. Sie forderte international eine Einflussnahme auf dafür verantwortliche Personen und Unternehmen. Im Naturschutzgesetz müsse die Lichtverschmutzung an Bedeutung gewinnen. So müsse die nächtliche Beleuchtung von Straßen und Unternehmen heruntergefahren werden. Sie brach eine Lanze für die ökologische Landwirtschaft. „Die Moore müssen wieder vernässt werden.“
Birkwald brachte die UN-Konvention zum Biodiversitätsmonitoring, die systematische und dauerhafte Feststellung der Veränderungen der biologischen Vielfalt, zur Sprache. Auch er tritt ein für die Reduzierung des Pestizideinsatzes und von Neuversiegelung. Es gelte das nationale Naturerbe zu sichern und auszuweiten. Zudem will er angesichts der Zerstörung der Ozeane und Regenwälder, von Klima und Artenvielfalt das vor einem internationalen Gericht zu verhandelnde Verbrechen des Ökozids einführen. Krämer forderte dringend mehr Investition in den weltweit zu denkenden Artenschutz. Auch mithilfe von innovativer grüner Umwelttechnologie.
Der Mensch und die Schöpfung
Bonhoeffer sprach die beiden biblischen Schöpfungsberichte an und formulierte zwei Fragen: „Welche Stellung hat der Mensch in der Schöpfung, in der Natur? Ist der Mensch die ´Krone´ der Schöpfung?“
Als Teil der Schöpfung habe der Mensch für sie eine riesengroße Verantwortung, reagierte von Möller. „Das muss unser Handeln prägen.“ Die wichtige Frage laute, wie wir unsere Schöpfung erhalten könnten – nicht zu Lasten Einzelner, sondern verbindend. Das Erreichen von Zielen wie Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Chancengleichheit setze eine starke Wirtschaft voraus, so von Möller.
Sollbach betonte, dass wir für ein Funktionieren des gesamten Systems sorgen müssten. Ein System, in dem jedes einzelne Teil wichtig sei, nannte sie beispielsweise den Schutz von Biotopen.
Birkwald setzte das (angeblich) von Kaiser Nero befohlene Niederbrennen des antiken Rom mit der von uns durch Erderwärmung in Brand gesetzten Planeten in Beziehung. Angesichts der für 2051 prognostizierten Bevölkerungszahl von weltweit 11 Milliarden Menschen postulierte Birkwald weiter, dass der theologische Grundsatz „Seid fruchtbar und mehret euch“ nicht mehr gelten dürfe.
Krämer gefällt der Gedanke von der „Krone der Schöpfung“ gar nicht. Das hieße, „dass andere unter mir stehen, vielleicht Menschen, vielleicht Lebewesen, die Natur“. Wir seien eine Gemeinschaft, streite er für Gleichberechtigung. Durch Fortschritt und Technologie ließen sich die ablaufenden Prozesse optimieren, so Krämer. Immer wenn Menschen frei seien, könnten Forschung und Technologie entstehen auch zum Schutz unserer Umwelt.
„Der Mensch kann nicht ohne die Erde. Die Erde aber wohl ohne den Menschen“, sieht Kipp die „Krone“-Vorstellung ebenfalls sehr kritisch. Den Grünen gehe es um eine lebenswerte Umwelt für alle. Leider habe die Politik in den letzten Jahren wenig getan hinsichtlich des sich bereits jetzt abspielenden Klimawandels. Weltweit verlören Menschen ihre Lebensgrundlage. Flucht müsse umdefiniert werden, um mit Veränderungen entsprechend umgehen zu können. „Unser Zusammenleben wird sich weiter verändern“
Lebensmittelverschwendung
„Fast vierzig Prozent der Lebensmittelproduktion landet in der Tonne“, leitete Pisu die fünfte Runde ein. Dies sei ein himmelschreiendes Unrecht angesichts des Hungers in der Welt. „Welche Instrumente können sie sich vorstellen, um die gigantische Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen?“, fragte Pisu.
Zwanzig Jahre habe sie nachhaltiges Wirtschaften in Unternehmen umgesetzt, sagte Sollbach. „Das ist mein Thema.“ Nur fünf Prozent der Vernichtung falle im Handel an. Der größte Teil bei den Verbrauchenden sowie aufgrund fehlender Kühlketten in den Entwicklungsländern. Diese Ketten gelte es zu schließen. „Wir brauchen Schulungen für uns selber“, informierte sie. Beispielsweise richte sich das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) nicht an die Endverbrauenden, sondern an die verkaufende Adresse.
Birkwald verwies auf das 2012 erschienene Buch „Die Essensvernichter. Warum die Hälfte aller Lebensmittel im Müll landet und wer dafür verantwortlich ist“ von Stefan Kreutzberger und Valentin Thurn. Bis zu zwanzig Millionen Tonnen Lebensmittel würden jährlich allein in Deutschland vernichtet. Junge Menschen sähen das nicht mehr ein und retteten Ware aus Containern. Dafür würden sie von Supermarktketten verklagt. „Das muss entkriminalisiert werden und wir müssen raus aus der Massentierhaltung“, forderte Birkwald.
Krämer warf ein, dass die Geschäfte zum eigenen Schutz Anzeige erstatteten, falls sich Menschen beim Suchen nach weggeworfener Ware in Abfallcontainern verletzten. Die Rechtslage, dass Supermärkte Produkte nach Überschreiten des MHD gar nicht mehr vertreiben dürften, müsse geändert werden. Leider sei es wirtschaftlicher, abgelaufene Sachen wegzuschmeißen, ging er auf die durch Subventionen „unfassbar billigen“ Produktionskosten ein. Er schlug entsprechende Gesetzesänderungen und eine klare CO2-Deckelung des LKW Transports innerhalb Europas vor.
Es liege an unserer Anspruchshaltung, so Kipp. Alles müsse immer verfügbar sein, sprach sie von einer Gerechtigkeitsfrage. Auch sie kritisierte die „völlig irreführenden Maßstäbe der Subvention“.
Lebensmittelverschwendung nannte von Möller weltweit ein extrem komplexes Thema. Hierzulande gebe es das billigste Obst, Gemüse und Fleisch. Wenn wir weniger, dafür schmackhaftere Produkte kaufen würden, könnten wir uns insgesamt etwa kostspieligeres Fleisch leisten. Supermärkte übten einen enormen Preisdruck aus. Von Möller riet, Märkte mit nachhaltig produzierten Angeboten mit besserer Qualität aufzusuchen.
Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich
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