Papst Franziskus – ein ökumenisches Resümee

„Buona sera“ lauteten die ersten Worte des am 13. März 2013 gewählten Papstes Franziskus an die Öffentlichkeit. Nun begrüßte Norbert Bauer mit „buona sera” in der katholischen Karl Rahner Akademie Köln zu einer ökumenischen Gesprächsrunde über die zehnjährige Amtszeit des Bischofs von Rom. Es gebe gute Gründe, erklärte der Akademieleiter und Theologe, ein Resümee zu ziehen in einer gemeinsamen Veranstaltung mit der von Dr. Martin Bock geleiteten evangelischen Melanchthon-Akademie. Dabei wurde neben der Ökumene ebenfalls der politische Papst in den Blick genommen.

Die anfängliche Begeisterung über den zum römisch-katholischen Oberhaupt gewählten argentinischen Kardinal Jorge Mario Bergoglio sei nicht mehr so zu spüren, meinte Bauer. Unter anderem entdeckten viele Menschen zu viele Kontinuitäten. Bestätigt wurde Bauers Zuversicht, dass die Podiumsteilnehmenden Dr. Verena Hammes, Prof. Dr. Julia Knop und Altpräses Dr. h. c. Nikolaus Schneider wohlwollend wie kritisch auf Wort und Werk von Papst Franziskus blicken würden. Nicht zuletzt war es auch der Mensch Franziskus, der aus persönlicher Perspektive beschrieben wurde.

Der Papst schaue auf Lebensrealitäten

Als Franziskus begonnen habe, sei er als ein Reformpapst eingeschätzt worden, eröffnete Julia Knop. „Das sagt heute fast keiner mehr. Ich glaube, dass Franziskus ein Übergangspapst ist”, so die Professorin für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Uni Erfurt. Zudem ist sie gewähltes Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. „Franziskus läuft sozusagen in den Schuhen der Kirche des 20. Jahrhunderts in das 21. Jahrhundert”, veranschaulichte sie. Knop attestierte ihm mit Blick auch auf seinen direkten Vorgänger einen anderen Umgang mit Lehre und Kirchenrecht. Beispielsweise nannte sie Franziskus´ synodales Schreiben „Amoris Laetitia“(2016) über Familie und Liebe. Dieses verdeutliche, dass ihm die Pastoral wichtiger sei als die Lehre. Das Ideal dürfe man nicht als Regelfall erwarten, vielmehr schaue der Papst auf Lebensrealitäten.

„Franziskus ist der erste Papst, der die Kurie in den Senkel stellt“, betonte Knop. Tatsächlich neu sei die päpstliche Kritik am Klerikalismus. Seine Kirchenentwicklung sei vor allem spirituell geprägt. Damit stehe Franziskus für einen Haltungswechsel. Er erde, relativiere die Lehre, aber er ändere die Lehre nicht, so Knop. Er stehe für eine Pastoral der Fürsorge, nicht der Ermächtigung. Dabei sieht Knop Praxis und Theorie nicht zusammenhängend. Sie beschrieb die Kirchenentwicklung unter Franziskus als innere Reform des Leitungspersonals. Am Ende sollten Bischöfe mit ihrer Macht darauf reagieren. Franziskus habe nichts gegen Klerikalismus von Klerikern, sondern von Laien, insbesondere weiblichen. Und: „Er will nicht, dass irgendjemand meint, es besser zu wissen“, sagte Knop.

„Der Name ließ aufhorchen”, erinnerte Nikolaus Schneider. „Franziskus hatte sich noch kein Papst genannt“, sagte der frühere Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland (2003 bis 2013) und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland/EKD (2010 bis 2014). Da sei jemand, der sich von der Mitte an den Rand des Vatikans bewege, lautete Schneiders früher Eindruck. Absolutistisches Gebaren sei nicht sein Anspruch. Eine Bewegung von der Mitte zum Rand, so Schneiders damalige Hoffnung, könne zu so etwas wie einer im Grundsatz Respekt-Ökumene führen. Und eben nicht zu einer Rückkehr-Ökumene, die sein Vorgänger Benedikt XVI. habe schmackhaft machen wollen.

Franziskus arbeite sehr stark mit Zeichen

Schneider sagte, dass ihn Franziskus´ Gesten sehr für ihn einnehmen würden. Etwa die „Gesundheitslatschen” statt der roten Schuhe, die „Verweigerung des Palastes“. Franziskus arbeite sehr stark mit Zeichen und Signalen. Er setze sehr stark auf Atmosphäre. Das hat Schneider bei einer Audienz 2013 selbst erfahren. Die Einladung war ursprünglich von Papst Benedikt XVI. bei seiner Deutschlandreise im ehemaligen Augustinerkloster von Erfurt 2011 ausgesprochen worden. Es war dann dessen Nachfolger, der den EKD-Ratsvorsitzenden empfing. Im Vatikan sei alles darauf angelegt, „dir zu vermitteln, was für ein kleines Würstchen du bist”, erinnerte er seinen Besuch. Diesen habe er noch heute in den Knochen, verriet Schneider. Zuletzt sei man im Vorzimmer von Georg Gänswein, Präfekt des Päpstlichen Hauses, „eingenordet” worden.

Doch mit der Begrüßung durch den Papst sei von einer bedrückenden Stimmung nichts mehr zu spüren gewesen. Im Gegenteil. Schneider sprach von einem atmosphärisch sehr guten Gespräch auf Augenhöhe und einer sehr, sehr brüderlichen Begegnung. „Lasst uns das gemeinsam machen”, habe Franziskus etwa zum Thema Flüchtlingskrise Kooperation auf der praktischen Ebene angeboten. „Ich hatte den Eindruck, man könnte meinen, er ist ein offener Papst. Er hat vielleicht die Hand an der Verriegelung des Fensters, aber geöffnet ist es noch nicht.”

Eine gemischte Bilanz

Damals habe seine Delegation eine große Verunsicherung im Vatikan wahrgenommen, so Schneider. Er sprach von einem spürbaren Maß an Illoyalität. So habe ein hochrangiger Vatikan-Mitarbeiter festgestellt: „Ein Jesuit kann nicht Papst sein. Der weiß gar nicht, wie das geht.“ Schneider merkte positiv an, dass Franziskus häufiger ermutigt habe zum Ausprobieren: „Vor Ort einfach mal zu machen.“ Imponiert habe seine klare Kante zum Kapitalismus. „Das System tötet.” Schneider wies auf dem Podium auf das scheinbare Problem hin, dass es zu großen Enttäuschungen führen könne, „wenn man erwartet, dass sich Kirche verändert”. So könne er die Ökumene-Politik von Kardinal Walter Kasper nicht als Fortschritt begreifen. Und es sei in der heutigen Zeit ein „Argument von großer Schlichtheit”, Frauen vom Weihesakrament auszuschließen, weil Jesus nur Männer als Apostel berufen habe. Schneider fände es „schön, wenn die Wirklichkeit die Lehre verändert”. Aktuell falle seine Bilanz sehr gemischt aus.

Die Wahl bzw. Vorstellung des neuen Papstes verfolgte die damalige Studentin Verena Hammes als Teilnehmerin einer Ökumene-Tagung in Paderborn. Seit 2019 ist die römisch-katholische Referentin Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen/ACK in Deutschland. Bereits als Schülerin gründete sie die ACK in Koblenz mit. Franziskus sei Argentinier mit einem völlig anderen Kontext, betonte Hammes. So habe er als Kardinal Bergoglio schon vorher zu vielen großen evangelikalen Gruppen und Kirchen in Südamerika persönliche Beziehungen geknüpft. Die gemeinsame Liturgie von Franziskus mit der Leitung des Lutherischen Weltbundes im schwedischen Lund 2016 anlässlich 500 Jahre Reformation bezeichnete Hammes als bedeutsames ökumenisches Zeichen und historischen Moment.

„Das ist eine Ökumene des Vertrauens“

Die Bewahrung der Schöpfung sieht Hammes als eines der wichtigen Anliegen des Papstes. So betrachte er den von der Orthodoxie gefeierten „Tag der Schöpfung“ bzw. die „Schöpfungszeit“ als ein Geschenk: „Das können wir von der Orthodoxie sehr wohl lernen.“ Es gehe Franziskus darum zu fragen, was der Geist Gottes in anderen gesät habe und dass das ein Geschenk für uns sein könne. Hammes brachte ebenso eine Ökumene der Reliquien zur Sprache. In dieser seien ganz viele Geschenke unterwegs. Reliquien als Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung. „Das ist nicht für alle so einfach“, gab die ACK-Geschäftsführerin zu bedenken. In den Vordergrund aber stelle der Papst eine Ökumene des Herzens und der Freundschaft. Gemeinsames Gebet, gemeinsame Spiritualität, gemeinsames Christusbekenntnis – dort setze der Pontifex starke Akzente. „Das ist eine Ökumene des Vertrauens.“ Hammes wies hin auf seine zahlreichen Reisen, auf denen er auch ökumenisch wirke. So habe er sich vielfach mit Menschen anderer Konfessionen getroffen oder ganze Reisen mit ihnen bestritten. Sein Verständnis: Man sei gemeinsam unterwegs, habe einen gemeinsamen christlichen Auftrag.

„Fast bis ans Ende der Welt sind die Kardinäle gegangen, um einen neuen Papst zu finden“, zitierte Bauer eine schnelle Reaktion auf die Wahl 2013. Habe aufgrund seiner Herkunft für Franziskus das Thema Ökumene keine so große Aufmerksamkeit? „Es ist ein anderer Kontext“, wiederholte Hammes. Franziskus habe einen pastoralen Ansatz und andere Beziehungspunkte, wies sie etwa nochmals auf seine Kontakte zur in Südamerika und weltweit sehr großen Pentecostal-Gemeinschaft (Pfingstbewegung) hin.

Der andere Kontext, aus dem der Papst komme, sei wichtig zu beachten, betonte auch Schneider. Andererseits sei aber auch der Zölibat in Südamerika und Afrika ein Thema. Ebenso die Rolle der Frau und welche Aufgaben sie übernehmen könne/dürfe. Knop bekräftigte ihre Einschätzung eines in sich widersprüchlichen Verhaltens des Papstes. Er lasse Leute reden und Vorschläge machen, aber am Ende „holt er den General raus”. Zudem bezweifelte sie, dass ein 86-Jähriger der Mann der Gender-Fragen sein könne. Er sitze diese Themen aus. „Aus Angst vor Spaltung?”, fragte Knop. Und wie stehe es um die Einheit, wie ehrlich werde sie gelebt? Sie teile vieles von dem, was Knop gesagt habe, so Hammes. Franziskus sei sehr schnell in seinen Äußerungen, die am Ende relativiert werden müssten. So habe er einer Frau, die nach den Möglichkeiten in ihrer konfessionsverbindenden Ehe gefragt habe, mit Hinweis auf die individuelle Glaubensentscheidung geantwortet: „Sprich mit dem Herrn.“

„In Deutschland gibt es eine sehr gute evangelische Kirche“, zitierte Bock eine Kritik des Papstes 2022 zum Reformprojekt „Synodaler Weg“ in der deutschen katholischen Kirche. „Haben Sie das als unfair erlebt?“, fragte er Schneider. „Er hat ja recht“, so der Altpräses. „Die evangelische Kirche ist die durch die Reformation durchgegangene allgemeine apostolische Kirche von den Anfängen an.“ In der Sache habe ihn die Aussage von Franziskus nicht gestört, jedoch von der Funktion her. Schneider empfand diese Formulierung als missbräuchlich. Diese zeige keinen respektvollen Umgang mit den in diesem Prozess engagierten Menschen. Daher bezeichnete er seinen ersten Impuls auch als „trotzig“.

Der „politische“ Papst Franziskus

Vor der abschließenden Publikumsrunde leitete Bauer zum „politischen“ Papst Franziskus über. Dieser habe Flüchtlingslager beispielsweise auf Lampedusa und Lesbos besucht. Er habe in der vielbeachteten Enzyklika „Laudato si’“ deutlich Stellung etwa zur Achtsamkeit, zu ökologischen und sozialen Themen bezogen. Dagegen weniger eindeutig habe Franziskus auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine reagiert. Weshalb laviere er dort so merkwürdig, fragte Bauer in die Runde.

Dies sei nur dadurch zu erklären, dass Franziskus die Möglichkeiten für Gespräche mit der russisch-orthodoxen Kirche in Moskau nicht zuschütten wolle, schilderte Schneider seine Sicht. Er behandle diese Beziehung wie ein rohes Ei, wolle in dieser Frage gerne viel weiterkommen. „Hier laviert er, wo er sonst zur klaren Kante neigt!“ Hammes dagegen nimmt „klar wahr, wie sehr er zum Waffenstillstand aufruft“. Der Papst leide an diesem Krieg, attestierte ihm Hammes „eine sehr starke Solidarität“. Und ja, es stimme, er versuche in der engen Verquickung von Russland und Orthodoxie die Türen offen zu halten.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich

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