Große Parade und queere und ökumenische Gottesdienste zum Christopher Street Day in der St. Johannes-Kirche und AntoniterCityKirche

Bunt, laut und beeindruckend war die Parade am Christopher-Street-Day (CSD) in Köln. Demonstriert wurde unter dem Motto „Für Menschenrechte. Viele. Gemeinsam. Stark!“. Mit jeweils einem Wagen beteiligten sich auch die Evangelische Kirche und das Diakonische Werk, um sich für Vielfalt in der Gesellschaft und der Kirche einzusetzen. An den zwei Abenden zuvor nutzten Hunderte Menschen in Gottesdiensten in der St. Johannes-Kirche in Köln-Deutz und Antoniterkirche in der Schildergasse das Angebot, Kraft zu tanken, zu feiern und Dank zu sagen. In diesen Gottesdiensten wurde auf beiden Seiten des Rheins ebenso deutlich Stellung bezogen einerseits gegen Intoleranz, Ausgrenzung und Diskriminierung; andererseits für Vielfalt, Gerechtigkeit und Akzeptanz. Für die Gleichberechtigung aller Menschen, so wie sie in der Liebe Gottes geschaffen wurden. Für alle – unabhängig auch und gerade von ihrer sexuellen Orientierung, geschlechtlichen Identität oder ihres Geschlechtsausdrucks.

Queere Kirche Köln feierte Gottesdienst in der St. Johannes-Kirche in Deutz

„Wir wollen zusammen feiern, beten, zur Ruhe kommen, auf Gottes Stimme hören, der die Welt, der uns so vielfältig gemacht hat mit allen Farben des Regenbogens“, begrüßte Pfarrer Tim Lahr im Namen der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Deutz/Poll und der Queeren Kirche Köln die Besucherinnen und Besucher in der St. Johannes Kirche. Zuvor hatte man noch viele Stühle hinzustellen müssen, so groß war der Zulauf. Einen Blickfang bildete der mit langen Bändern und verschieden großen wie farbigen Ballons geschmückte Altarraum.

Das vom Altar ausgehende Regenbogenband im Mittelgang wurde beim Einzug von Lahr und seiner Kollegin Pfarrerin Janneke Botta symbolträchtig nochmal deutlich verlängert. Den breiten musikalischen Part übernahmen Die Ludi mit charismatischer Stimme und individuellem Ausdruck sowie der stark gewachsene Queere Kirchen-Chor unter Leitung von Michael Burt. Am Schluss wurde der Chorleiter, den es zurück in die englische Heimat zieht, für sein Engagement gewürdigt und herzlich verabschiedet.

„Love with/out borders“ (Liebe mit/ohne Grenzen) lautete das aktualisierte Motto der einladenden Queeren Kirche: Grenzen überwinden und Grenzen setzen. Denn „vor zwei Wochen sind uns gegenüber Grenzen überschritten worden“, sagte Tim Lahr. Über Nacht hätten Menschen den am Kircheneingang angebrachten Regenbogenschmuck abgerissen. Angesichts dieser und anderer Verletzungen wolle und müsse man Grenzen setzen.

„Täglich begegneten wir Grenzen“, konstatierte eine der Mitwirkenden: „Äußerlichen und innerlichen, körperlichen und seelischen, sichtbaren und unsichtbaren.“ In bestimmten Momenten sei es nicht einfach zu wissen, wer man sei. „Gott, du weißt, wer ich bin. Du führst mich durch Ängste und Zweifel“, betete sie. Pfarrerin Janneke Botta sprach von dem Gefühl, „einmal im Jahr in der Mehrheit zu sein. Wir feiern uns, feiern unsere Community – In the name of love“, zitierte sie untermauernd den Titel des zuvor gesungenen Songs. Leider sei die Queere Community kein diskriminierungsfreier Ort

„Habt ihr schon mal Grenzen überwunden, spürbare und nicht spürbare?“, eröffnete Tim Lahr den ersten Teil der Predigt. Bald erzählte er die gleichnishafte Geschichte vom kleinen Elefanten. Dieser sei an einen Pfahl gebunden worden mit dem Hinweis, dass er nicht weglaufen könne. Tatsächlich seien alle seine Versuche gescheitert. Als er groß und kräftig geworden sei, und er leicht hätte den Pflock ausreißen können, sei er nicht mehr auf die Idee gekommen, sich zu befreien. „Manchmal sind die Grenzen schon lange abgebaut. Sie existieren nur noch in unseren Köpfen.“ Wenn man sich selbst Grenzen setze oder von Glaubenssätzen eingegrenzt werde: „Was kommt da noch?“

Pfarrer Lahr erinnerte an Gedanken vor seinem Coming-out. „Was gebe ich auf?“, habe er, der einst von Haus und Familie träumte, sich gefragt. Manchmal sei ist die Komfortzone doch zu verlockend oder erscheine die Grenze unüberwindbar. Für seinen persönlichen Weg habe er eine Grenze überschreiten müssen. „Es gibt tausend Möglichkeiten auf der anderen Seite“, sprach er zur Gemeinde. Auch die Bibel enthalte viele Geschichten, in denen Grenzen überwunden würden oder vor solchen Halt gemacht werde. „Mir hat geholfen, zu sehen, wenn Menschen Grenzen überschritten haben. Viele queere Menschen zeigen, dass sie schon oft gesellschaftliche Grenzen überschreiten mussten. Grenzen, die einen klein machen oder halten wollen.“

Mit Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen habe er gerade den Eindruck, dass man die Grenzen wieder hochziehe, bedauerte und warnte der Pfarrer. „Lasst uns die Grenzen feiern, die wir schon überwunden haben“, ermutigte der Pfarrer die Zuhörenden. „Gott, schenke uns Kraft und zeige uns, was am Ende des Regenbogens auf uns wartet. Ich habe mir selbst Grenzen gesetzt. Aber jetzt habe ich sie überschritten.“

„Tim hat erzählt, wie einfach es sein kann, Grenzen zu überwinden“, sagte Janneke Botta, bevor sie den zweiten Abschnitt der Predigt übernahm. „Ich behandle das Gegenteil: ich sage, wie wichtig es ist, Grenzen zu setzen.“ In drei selbst erlebten Geschichten verdeutlichte sie die Bedeutung eines achtsamen, konsequenten Umgangs mit sich selbst und Äußerungen und Handlungen von Dritten. Auch wenn dadurch Gewohntes und Geschätztes scheinbar verloren gehe. „Ich habe gar nicht gedacht, dass du lesbisch bist“, habe ihr mal jemand gesagt. Es habe sie zunächst stolz gemacht, „dass man es mir nicht ansehen konnte“, erinnerte sich die Pfarrerin. Heute schäme sie sich dafür, nicht entsprechend reagiert zu haben. „Höre darauf, wenn sich jemand respektlos, unsensibel, übergriffig verhält. Es steht uns zu, Grenzen zu setzen. Aus Liebe zu uns selbst und unserer Community, aus Liebe zu Gott, weil Gott dich liebt. Stop! In the name of love und Stop! In the name of God.“

„So viel ist schon erreicht“, hieß es in den Fürbitten, „aber auch in Köln ist man nicht überall sicher.“ Gott wurde gebeten, Menschen, die sich nicht trauten, Vertrauen zu schenken. Und diejenigen, „die solidarisch sind, die ihre Ohren und ihren Mund aufmachen“, mit passenden Worten zu beschenken. Gedacht wurde ebenso der vielen queeren Menschen, die woanders in der Welt mutig und häufig lebensgefährdend kämpften für ihre Liebe und Freiheit. „Gott, sie brauchen Superkräfte, sie brauchen ein Wunder.“

Evangelische Messe zum CSD in der AntoniterCityKirche

Vor 25 Jahren habe in der Antoniterkirche der erste CSD-Gottesdienst stattgefunden, freute sich Citykirchenpfarrer Markus Herzberg in seiner Begrüßung zur Evangelischen Messe am Samstagabend. „Schön, dass er eine Tradition geworden ist“ und hier einen festen Platz gefunden habe. Neben dem Team der AntoniterCityKirche gestalteten wie gewohnt ökumenische Gäste den Gottesdienst mit, darunter der alt-katholische Pfarrer Jürgen Wenge. Willkommen hieß Herzberg bei rund vierzig Grad Innentemperatur auch Menschen aus Afghanistan. CSD-Paraden und -feiern seien nicht überall in der Welt selbstverständlich und er bat die Besucherinnen und Besucher an diejenigen Menschen zu denken, „die ganz weit weg sind“.

Citypfarrer Markus Herzberg

Am Beginn seiner Predigt ging Markus Herzberg auf die große Resonanz in den Medien auf das Coming-out des ehemaligen Formel-1-Rennfahrers Ralf Schumacher ein. Herzberg stellte bei sich eine leichte Ambivalenz fest. „Wenn im Jahr 2024 sich jemand outet und es nichts anderes an dem Tag medial gibt als dieses Outing“, dann frage er sich, „ob wir nicht ganz weit weg von einer gelebten Normalität sind.“ Eigentlich wäre es doch schön, wenn man darüber gar nicht mehr berichten müsse, weil es völlig normal und akzeptiert sei, wie alles andere im Leben auch. „Aber ihr seht, wir sind da immer noch nicht angekommen“, erinnerte er gleichzeitig an sein eigenes Coming-out. An seine eigene Geschichte und wie viel Angst, „heute weiß ich unbegründet“, er vor diesem Schritt gehabt habe. Lange habe er der Welt vorgespielt, jemand ganz anderer zu sein. In diesem Thema seien wir kollektiv miteinander verbunden, meine Pfarrer Herzberg.

Zwar habe sich von Generation zu Generation schon viel geändert und vieles sei heute selbstverständlicher als früher. Aber aktuelle Studien belegten, dass das alles nicht so einfach sei und Menschen nicht dazu ermuntere, zu sich zu stehen.  Danach seien 73 Prozent der Befragten der Meinung, dass lesbische, schwule oder bisexuelle Menschen vor Diskriminierung geschützt werden sollten. „Etwa 71 Prozent befürworten, dass gleichgeschlechtliche Paare legal heiraten dürfen. Drei Prozentpunkte mehr als 2021.“ Spannend fand Markus Herzberg, dass Frauen bei diesem Thema die eindeutig toleranteren Menschen im Gegensatz zu heterosexuellen Männern seien.

Auch für 2023 veröffentlichte Zahlen vom Bundeskriminalamt und Bundesinnenministerium sorgten nicht für Entspannung. 1.499 Fälle im Bereich sexueller Orientierung und 854 Fälle zu geschlechtsbezogener Diversität bedeuteten einen Anstieg von Vorfällen von 49 Prozent und gegen trans- und intergeschlechtliche sowie nicht binäre Menschen um 115 Prozent. Diese Zahlen stimmten nachdenklich. „Nichts provoziert gerade so viele Menschen wie die Regenbogen-Fahne an unserer Kirche“, wunderte sich Pfarrer Herzberg. Regelmäßig kämen Menschen ins Foyer der Kirche und erklärten, weshalb sie dort nicht hängen dürfe. Sie müsse verschwinden, Gott hasse Schwule und Lesben. „Das ist leider auch Realität in unserem Land. Es braucht klare Worte, denn es muss Schluss sein, mit unserer Toleranz der Intoleranz gegenüber“, stellte Markus Herzberg entschieden fest.

„Wo die Liebe regiert, da hat die Angst keinen Platz“, sagte der Citypfarrer weiter. Angst habe in der Kirche und im Glauben keinen Platz. „Ihr sollt strahlen, ihr sollt selbstbewusst und frei leben.“ Es zähle, „dass ihr euer Leben lebt, das euch Gott geschenkt hat mit allen euren Talenten und Gaben. Gott liebt uns so wie wir sind. Unabhängig von jeglicher Identität, die wir empfinden.“ Gott habe seinen Bund mit allen Menschen geschlossen, heiße es ganz am Anfang der Bibel. Der Regenbogen solle das Bundeszeichen sein zwischen ihm und der Erde. Der Regenbogen werde zum Zeichen seines Versprechens an alle Generationen – zum Zeichen für Frieden, Gerechtigkeit und Liebe. Deswegen sei es schön, auch in Köln so viele bunte Fahnen zu sehen. „Fahnen, die überall wehen und die Vielfalt feiern. Und die wir Christinnen und Christen als Geschenk Gottes an diese Erde sehen.“

Ein Coming-out sei für Menschen ein schmerzlicher und schwieriger Prozess. Denn man gehe einen Weg trotz mancher Vorurteile und Diskriminierung und als christlicher Mensch auch gegen immer noch kirchliche Verurteilung von Homosexualität. Diese gebe es leider bis heute in Kirchen auf dieser Erde und Markus Herzberg sprach von einer Schande.

„Ja, ich bin geliebt und ich darf mich selbst so lieben wie ich bin“, rief er den Zuhörenden Zuversicht zu. „Es ist wichtig, wenn man Menschen hat, die einem das vorleben. Ich habe mich damals nach solchen Vorbildern gesehnt.“ Und deshalb seien solche Geschichten wie von Ralf Schumacher eben doch noch wichtig, weil sie gebraucht werden, auch für die öffentlich Wahrnehmung, „dass es Menschen gibt, die sich auch heute in Selbstverständlichkeit outen und sagen: so bin ich und nicht anders“.

In seinen Dank schloss Markus Herzberg den famosen Shanty-Chor der StattGarde Colonia Ahoj e.V. ein. Auf der Empore, wo sonst die Bordkapelle der StattGarde aufspielt, interpretierten etliche Sänger deutsche, kölsche und englische Stücke. Zwei Wochen habe der Chor hier geprobt und sich ein bisschen in diese Kirche verliebt, meinte Pfarrer Herzberg: „Ich sehr da eine gute Zukunft für euch.“

Unterstützt wurde die Gesangsgruppe von Kirchenmusikdirektor Udo Witt an der Orgel und Trompeter Patrick Dreier. Beide sorgten auch für den mitreißenden musikalischen Ein- und Ausstieg des Gottesdienstes. Anschließend traf sich die Community im Innenhof des Citykirchenzentrums.

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Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich

Der Beitrag Große Parade und queere und ökumenische Gottesdienste zum Christopher Street Day in der St. Johannes-Kirche und AntoniterCityKirche erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.