„Fake-News verbreiten sich schneller als Corona“ – Tom Buschardt weiß, wie man sie entlarvt

Der Ukraine-Krieg, Corona und die Energiekrise: nur drei von zahllosen Themen, zu denen im Internet kontroverse Informationen kursieren. Darunter auch Fake-News, bewusst gestreute Fehlinformationen und Falsch-Nachrichten. Ein Experte, der dabei hilft, sich im Infodschungel zu orientieren, ist Tom Buschardt. Der Medien- und Kommunikationsprofi, der die Agentur „200 Prozent“ gegründet hat und führt, war kürzlich in der Melanchthon-Akademie zu Gast. Im aktuellen Interview erklärt er, warum Demokratien besonders gefährdet sind für Fake-News und Propaganda von verschiedenen Seiten. Und wie man Falsch-Nachrichten erkennt.

Herr Buschardt, wie können Menschen Fake News erkennen beziehungsweise entlarven?

Tom Buschardt: Der wichtigste Satz, den man mir in meiner journalistischen Ausbildung beigebracht hat, lautet „Frag dich immer, was derjenige davon hat, wenn er dir etwas erzählt und du es genauso weiterverbreitest.“  – Für diesen Satz bin ich auch nach 35 Berufsjahren dankbar. Er hat mich vor manchem Fehler bewahrt. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass sich Nachrichten nicht durch ihre Bedeutung verbreiten, sondern durch die Emotionalität, die sie bei uns auslösen. Beispielsweise betrifft uns ein Fährunglück auf den Philippinen mit 280 Toten weniger, als der Verkehrsunfall mit drei Toten auf dem Weg zu unserer Arbeitsstelle. Wir stellen Nachrichten stets in einen Kontext. In meinen Vorlesungen zum Thema Fake-News und Krieg in der Ukraine habe ich festgestellt, dass für die Studierenden die Ukraine weit weg war. Bis man Ihnen gesagt hat, dass von der östlichsten deutschen Grenze bis zur ukrainischen Grenze „Pi mal Daumen“ die Entfernung der Strecke Köln-Berlin entspricht. Auf einmal wird es greifbar. Oft hilft uns bei Fake-News der gesunde Menschenverstand. Aber insbesondere zu Kriegszeiten werden Fake-News zur strategischen Waffe der Kriegsparteien. Das gilt nicht nur für Russland, sondern auch für die Ukraine. Guter Journalismus ist langsam. Er verifiziert die Fakten. Das dauert. Warum müssen wir immer die ersten sein, die etwas Spektakuläres weiterleiten?

Wo sehen Sie aktuell die meisten Fake-News?

Tom Buschardt: Twitter ist sicher ganz weit vorne. Allerdings müssen wir auch berücksichtigen, dass viele Fake-News in anderen Kanälen oft ihren Ursprung auf Twitter haben und sich dann wie moderne, urbane Legenden weiterverbreiten. Fake-News verbreiten sich schneller als Corona. Das Problem ist: Medien schwächen sich selbst, wenn sie Twitter als Medium bezeichnen. Twitter ist ein Vertriebskanal. Wenn die Tagesschau meldet, dass die „Bundesregierung auf Twitter mitgeteilt“ hat, macht sie sich überflüssig. Twitter habe ich auf meinem Smartphone  – was brauche ich da die Tagesschau? Die Quelle bleibt die Bundesregierung. Oder hat die Tagesschau vor 30 Jahren formuliert: „Die Bundesregierung hat auf drei Seiten Telefax mitgeteilt…“? Eben nicht. Hier ist der Journalismus gefragt, denn wenn ich in der Tagesschau lerne, dass Twitter gleichberechtigt wichtig ist – dann glaube ich auch die Fake-News über Twitter leichter, wenn doch selbst die Tagesschau ständig sich darauf beruft.

Bei welchen Themen sollte man aktuell besonders aufmerksam oder vorsichtig sein?

Tom Buschardt: Corona und der Angriffskrieg gegen die Ukraine sind derzeit nach meiner subjektiven Wahrnehmung die häufigsten Themen, die zur Destabilisierung unserer Gesellschaft angewendet werden. Demokratische Strukturen sind dafür leider anfälliger, deshalb brauchen wir eine wehrhafte Demokratie mit allen Konsequenzen.

Inwiefern sind Demokratien anfälliger?

Tom Buschardt: Demokratien sind deshalb anfälliger, weil sie per se Medien nicht zensieren. Und vor allem wird auch den absurdesten Minderheitsmeinungen Aufmerksamkeit gezollt, weil man sie abbilden möchte. Damit sitzen dann jedoch Schwurbler und Experten scheinbar gleichberechtigt in den Sendungen und Talkshows. Und: je absurder die Behauptung, desto medial interessanter scheint sie.

Haben Sie drei Merkmale oder Tipps, wie man Fake-News erkennen kann?

Tom Buschardt: Im Krieg ist Twitter der Kanal mit der größten und schnellsten Reichweite und Verbreitung. Hier sollte man beispielsweise stutzig werden, wenn anstelle von Links über deren Inhalte wir uns aufregen sollen, Screenshots verschickt werden. Hier fehlen häufig die Datums- und Uhrzeit-Stempel, die Twitter automatisch vergibt. So hat der Absender offenbar weniger Interesse daran, dass man die Fakten überprüfen kann. Oftmals erkennt man bereits an der verwendeten Typo, dass es kein Original-Screenshot sein kann. Dazu muss ich mich aber in den Medien auskennen, um den Unterschied zu bemerken. Auch das gehört zur Medienkompetenz, die in unserer Gesellschaft immer mehr nachlässt. Oftmals hebelt man mit einfachen Fragen: „Woher hast du das?“ , „Wie hast du das überprüft?“ schon viele Schwurbler aus. Wir müssen neugieriger werden, skeptischer – nicht stets die erste Information glauben, nur weil sie bei uns auf ungeframte Wahrnehmung stößt.

Wie können vor allem jüngere Menschen für die Problematik sensibilisiert werden?

Tom Buschardt: Fake-News machen nur vor der Bezahlschranke Sinn. Wir müssen für Medien und Journalismus bereit sein, Geld auszugeben. Sie haben in Deutschland das Recht auf freien Journalismus – Sie haben nicht das Recht, ihn kostenlos zu bekommen. Umfragen zu Beginn meiner Fake-News-Vorlesungen bringen es ans Licht: Fast alle haben ein Streaming-Abo bei Netflix, Amazon Prime, Apple TV – aber so gut wie niemand hat ein Abo eines Premium-Mediums. Warum sind wir bereit, für fiktionale Inhalte Geld auszugeben – für non-fiktionale Inhalte jedoch nicht? Da stimmt doch etwas nicht. Welcher junge Erwachsene kann denn heute noch zwischen Kommentar und Leitartikel, zwischen Satire und Glosse oder Nachricht und Meldung unterscheiden? Das war bei uns Unterrichtsstoff in der achten und neunten Klasse. Heute versteht man unter Medienkompetenz, dass man ein Smartphone bedienen kann. Das ist falsch. Wir müssen beginnen, uns mit dem Content zu beschäftigen. Das wirkt nicht von heute auf morgen – aber langfristig. Was kostet das Studentenabo der Süddeutschen Zeitung? 17,50 Euro. Sie dürfen es auf fünf Geräten lesen. Hat ein Studierender fünf Geräte? Nein. Aber er hat vier Kommilitoninnen und Kommilitonen. Das wäre dann 3,50 Euro/Monat bei 26 Tagesausgaben sind das 14 Cent am Tag. Es gibt kein Argument, das stärker ist als 14 Cent, um hinter eine Paywall mit Qualitätsjournalismus zu kommen. Sehr, sehr wahrscheinlich entspricht das nicht den AGB der Süddeutschen. Zeigen Sie mir den Studierenden, der beim Installieren einer App die AGBs sorgfältig liest – und wir diskutieren das noch einmal neu und ich überlege mir ein anderes Argument.

www.buschardt.de

Text: Hildegard Mathies
Foto(s): Tom Buschard

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